Mit Glück unterwegs

Nelly Jaggi

Lauterbrunnen und Iseltwald werden überrannt. Viele reisen an für ein einziges Foto. Mit der richtigen Formel lässt sich der Besuch (beliebter) Ferien- und Ausflugsziele nachhaltiger gestalten.

Beginnen wir mit zwei Beispielen: Eine Bernerin fährt mit dem Zug nach Lauterbrunnen (BE) und besucht zu Fuss die Trümmelbachfälle. Ein New Yorker fliegt nach Zürich, fährt per Miet-SUV nach Lauterbrunnen und wandert ebenfalls zu den Trümmelbachfällen. Die Bernerin fährt am Abend wieder nach Hause, der New Yorker bleibt eine Woche in Lauterbrunnen und unternimmt weitere Wanderungen. Beide hinterlassen Spuren; schliesslich verursacht auch der Ausflug der Bernerin Emissionen und Verkehr. Beide tragen zur Überlastung des kleinen Ortes bei.

Lauterbrunnen leidet zunehmend unter den Menschenmassen, deren Ziel die fotogenen Trümmelbachfälle sind – und mit ihren Bildern noch mehr Menschenmassen anziehen. «Es bringt Menschen, es bringt Verkehr, es schränkt die Lebensqualität ein», sagte der Gemeindepräsident von Lauterbrunnen im September 2023 gegenüber Radio SRF in der Sendung «News Plus».

VCS-Projekte für die umweltfreundliche Anreise

Wandern ist die beliebteste Sportart in der Schweiz. Nur wer wandert in die Berge? Allzu oft geschieht die Anreise mit dem Auto – für einen Tag. Leidtragende sind die Menschen, die in den Ausgangsdörfern leben. Der VCS unterstützt gezielt Projekte, um die Anreise in die Berge nachhaltiger zu gestalten.

Der Bus alpin unterhält zusammen mit regionalen Trägern in 19 Bergregionen schweizweit Buslinien zu sehenswerten Ausflugszielen. Wird eine Ortschaft nämlich von weniger als 100 Personen bewohnt, finanziert der Bund die Erschliessung nicht. Mit dem Projekt «Fahrtziel Natur» fördert der VCS gemeinsam mit dem Netzwerk Schweizer Pärke und Postauto die ÖV-Anreise in die Naturpärke der Schweiz. Seit einigen Jahren gibt es jeweils im Sommer oder im Herbst eine Aktion, bei welcher ab zwei Übernachtungen die Anreise per ÖV kostenlos ist.

Im Winter bringt der Schneetourenbus Skitourengänger oder Schneeschuhläuferinnen an beliebte Startpunkte. Er erschliesst die Ausgangspunkte beliebter Touren ab der letzten ÖV-Haltestelle.

Weitere Infos:
www.schneetourenbus.ch
www.busalpin.ch
www.fahrtziel-natur.ch

Doch, aber …

Also lieber gar nicht hingehen? Doch, aber … Tourismus ist ein wichtiger Wirtschaftszweig. In der Schweiz arbeiten 4,2 Prozent der Erwerbstätigen (Stand 2017) in einem tourismusbezogenen Bereich. Die Plattform fairunterwegs.org, die vom gleichnamigen Verein betrieben wird, setzt bei Reisen und Ausflügen auf die G.L.Ü.C.K.-Formel.

Gemächlich unterwegs sein, Lokales bevorzugen, Überraschungen zulassen, CO2-Ausstoss senken und einen korrekten Preis bezahlen. Gemächlich unterwegs sein gilt bei der Anreise. Es steht ausser Frage, dass punkto Emissionen die An- und Abreise der mit Abstand wichtigste Faktor ist. Warum also nicht einmal auf einer Velotour den Weg zum Ziel machen? Oder das letzte Stück wandern? Gemächlich unterwegs sein bezieht sich aber auch auf den Aufenthalt: länger bleiben und länger geniessen. Davon profitiert auch die lokale Bevölkerung. Isst der New Yorker in der Dorfbeiz, schläft im Hotel vor Ort und unternimmt weitere Ausflüge zu Fuss an weniger populäre Ziele, trägt auch er, abgesehen vom hohen CO2-Ausstoss bei der Anreise, versteht sich, zum Glück bei. Würde es ihm die Bernerin gleichtun und als Reisezeitpunkt die Nebensaison wählen, könnte ihr Aufenthalt in Lauterbrunnen das Prädikat nachhaltig verdienen.

    

Die G.L.Ü.C.K.-Formel: gemächlich unterwegs sein, Lokales bevorzugen, Überraschungen zulassen, CO2-Ausstoss senken und einen korrekten Preis bezahlen.

    

Nicht unbedingt

Oder lieber doch anderswo hingehen? Nicht unbedingt. Denn was, wenn noch weniger bekannten Destinationen am Ende dasselbe widerfährt wie Lauterbrunnen? Wie schnell das gehen kann, hat das Beispiel von Iseltwald (BE) gezeigt. Eine Szene in einer koreanischen Netflixserie hat einen Bootssteg dermassen berühmt gemacht, dass die Menschen in Scharen für ein Foto anreisen. Die Ortschaft hat inzwischen Massnahmen ergriffen, um die Herausforderungen in den Griff zu bekommen. Neu muss fünf Franken Gebühr bezahlen, wer den Steg betreten will. Um den Verkehr in den Griff zu bekommen, gibt es Parkplätze für Reisebusse nur gegen Gebühr und Reservation. Postauto hat die Kapazitäten erhöht und setzt neuerdings Doppelstock-Busse ein.

Weitere Infos: www.fairunterwegs.org

    

Nachtbusse mit Mehrwert

Von Céline Meisel

In der Wintersaison 2023/2024 hat Lenzerheide (GR) in einem Pilotprojekt den 24-Stunden-ÖV getestet. Rund um die Gemeinden Lenzerheide und Tiefencastel konnten an jedem Wochentag Nachtbusse genutzt werden. Bestellt wurde dieser auf Anfrage, mit einer App oder einem Anruf. Das Angebot ist auf guten Anklang in der Tourismusregion Lenzerheide gestossen. Das macht stolz: «Das Angebot wurde rege genutzt und es gab viele positive Rückmeldungen von Einheimischen und Gästen», sagt Philip Vassalli von Lenzerheide Tourismus.

Für den Tourismus bringe dies einen grossen Mehrwert. So könnten zum Beispiel Gäste länger ausgehen und Mitarbeitende statt mit dem Auto mit dem ÖV nach der letzten Schicht nach Hause pendeln. Auch in anderen Teilen bringt das Pilotprojekt einen Mehrwert: Lärmemissionen und CO2-Ausstoss sinken dank der Verschiebung vom motorisierten Individualverkehr auf den öffentlichen Verkehr. Diese Entwicklung sei zentral, so Vassalli. Denn: «Viele Gäste kommen ja wegen der wunderschönen Natur zu uns.»

Pilotprojekt mit Erfolg

Die Idee, einen 24-Stunden-ÖV einzuführen, folgte auf einen von der Gemeinde unterstützten Taxidienst, der sich als beschränkt effizient und wenig nachhaltig erwiesen hatte. «Die Passagiere wurden oft einzeln vom Start- zum Zielort gefahren», so Vassalli. Es brauchte eine neue Lösung, wurde gemeinsam mit den Gemeindevertreterinnen, Postauto und verschiedenen Leistungsträgern entschieden.

Das Angebot wurde von verschiedensten Gruppen genutzt – grösstenteils waren es Feriengäste und Einheimische. Auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Hotels und Restaurants, welche oft bis nach Mitternacht arbeiten, nutzten das Angebot.

Aus dem Projekt ergaben sich verschiedene Herausforderungen. Die Rekrutierung des Fahrpersonals war beispielsweise schwierig. Aber auch das Programmieren der App war technisch herausfordernd. Laut Vassalli hatten sich die Nutzerinnen und Nutzer schnell an die App gewöhnt – im Tourismusbüro werden auch Schulungen für deren Nutzung angeboten.

Die Bilanz des getesteten 24-StundenÖVs ist positiv, eine Weiterführung ist geplant: «In der Sommersaison 2024 wird es das Angebot Freitag- und Samstagnacht geben, in der Wintersaison 2024/2025 wieder täglich.»

    

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