Langes Rudern für eine gute Sache

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Blick nach vorne, Blick nach hinten: Bei der Vielfalt der Boote ist Umsicht gefragt.

An der Vogalonga in der Lagune Venedigs wird am Pfingstwochenende die motorlose Fortbewegung zelebriert. 1975 als stiller Protest ins Leben gerufen, vereint sie heute Gleichgesinnte aus aller Welt. Unser Autor hat die 30 Kilometer im Stehen gepaddelt.

Ein friedlicher Protest

Ins Leben gerufen hat die Vogalonga vor 45 Jahren eine Gruppe besorgter Venezianer: Als friedliche Kundgebung für die Fortbewegung auf dem Wasser aus eigener Kraft und gegen die Verschmutzung der Lagune durch Motorboote.

Die italienische Tageszeitung «Corriere della Sera» schrieb anlässlich der Erstaustragung: «Müde vom Plaudern und vom Gejammer über das Schicksal der Stadt und der Lagune, haben sie (die Gruppe der Venezianer) die Bürger, anstatt zu den Waffen, zum Rudern gerufen.» Die Initianten trafen offenbar auf ein Bedürfnis: Rund 1500 Teilnehmerinnen und Teilnehmer gingen mit 500 Booten an den Start – niemand hatte am 8. Mai 1975 mit so viel Interesse gerechnet.

Das Boot im Rucksack

Meine erste Bekanntschaft mit der Vogalonga liegt zehn Jahre zurück. Sie war krönender Abschluss einer Reise mit dem Faltboot auf Wasserwegen von Locarno nach Venedig. Für Pfingsten 2019 fasste ich den Entschluss, meine Erinnerungen aufzufrischen. Aber diesmal wollte ich die Strecke im Stehen absolvieren: Ich entschied mich für ein SUP-Brett, ein aufblasbares, fast vier Meter langes Brett, auf dem stehend gepaddelt wird.

Ein grosser Teil der traditionellen venezianischen Ruderboote, dazu zählen auch die Gondeln, werden ebenfalls stehend gepaddelt. Ich würde also nicht alleine sein. Ein Vorteil meines Gefährts liegt darin, dass es in einem Rucksack Platz findet, der weniger als zwölf Kilogramm wiegt und problemlos im Zug mitgenommen werden kann.

Venedig im Ausnahmezustand

Nach nur sechseinhalb Stunden Fahrtzeit ab Bern treffe ich in Venezia Santa Lucia ein. An diesem Tag ist im ohnehin lebendigen Venedig noch mehr los: Tausende Menschen stehen auf der Strasse, um gegen die Kreuzfahrtriesen zu demonstrieren. Am Sonntag davor hat ein solcher, ausser Kontrolle geratener, Gigant beim Anlegen ein Ausflugsschiff gerammt. Vier Personen wurden leicht verletzt, es hätte aber auch viel schlimmer enden können.

Es sind nicht die ersten Proteste: Die Wellen und die Wasserverdrängung der riesigen Schiffe gefährden die Fundamente des Weltkulturerbes und bedrohen das sensible ökologische Gleichgewicht in der Lagune.

Endlich auf dem Wasser

Am Pfingstsonntag ist es so weit. Ratlose Touristengruppen stellen fest, dass heute keine Wasserbusse fahren. Dafür können sie beobachten, wie sich Rudergruppen fürs Einwassern bereitmachen, Faltbootbesitzerinnen ihre Boote zusammenbauen und SUP-Paddler ihre Bretter aufpumpen: Die Vogalonga geht los.

Aus allen Kanälen strömen die kleinen und grossen Boote an den Start vor dem Markusplatz. Dort, auf dem Canale della Giudecca, hat es genügend Platz für die über 7000 Ruderinnen und Ruderer. Um Punkt 9 Uhr gibt eine Kanonensalve unüberhörbar das Startzeichen und die Ruderboote, Gondeln, Drachenboote, Seekajaks und allerlei andere Boote setzen sich in Bewegung.

Am Anfang ist Umsicht gefragt: Die Boote sind unterschiedlich schnell und benötigen weniger (Kajaks) oder mehr (Ruderboote) Platz. Die einen blicken in Fahrtrichtung, die andern auf ihr Fahrwasser zurück. Der Seegang hält sich zum Glück in Grenzen. Einzig der Gegenwind setzt den stehenden Paddlerinnen und Paddlern zeitweise zu. 

Zeit für Bekanntschaften

Weil die Vogalonga kein klassisches Rennen ist, bleibt unterwegs Zeit für Gespräche und Bekanntschaften. Da ist der SUP-Paddler vom Lido, dieser vorgelagerten Insel, welche die Laguna di Venezia von der Adria trennt. Dort, so erzählt er, sei er bei guten Wellenbedingungen regelmässig an seinem Lieblingsstrand auf dem Brett anzutreffen.

Im traditionellen Vierer-Ruderboot sitzt eine fünfköpfige Familie aus Venetien. Auf dem Steuerplatz sitzt gerade der zehnjährige Junge und fragt alle, die an seinem Boot vorbeifahren, aus welchem Land sie kommen und was das Spezielle daran sei. In Burano erliegen einige der Versuchung einer Eisdiele – trotz ausreichend Streckenproviant der Organisatoren.

Die Vogalonga ist ein politisches Statement. Aber auch ein eindrückliches Erlebnis mit Wassersportfreunden aus vielen Nationen. Es ist diese Kombination, die den besonderen Reiz der Veranstaltung ausmacht.

Kurz vor Ende der 30 Kilometer langen Strecke: Der Canale Cannaregio ist blockiert. Polizisten in Uniform auf Jetskis lotsen die verbleibenden Boote auf einem Schleichweg durch die Kanäle, bis sie auf dem Canal Grande wieder mit den anderen Booten zusammentreffen.

Das Publikum säumt den Kanal. Kein Motorenlärm übertönt die Paddelschläge und die Zurufe. Bei der Durchfahrt unter der Rialtobrücke wird es richtig laut. Am Ziel offeriert ein Barbetreiber direkt am Wasser spontan Sekt und Käse. Mit einem Glas in der Hand geniesse ich vom Wasser aus den Blick auf den Markusplatz.

Einmal im Jahr, traditionell zum Pfingstsonntag, lädt Venedig zur Vogalonga und zelebriert für einige Stunden die motorlose Fortbewegung. In den Gassen wie gewohnt zu Fuss, auf dem Wasser mit Ruder oder Paddel. Teilnehmen dürfen alle Bootsklassen, vorausgesetzt sie werden mit Muskelkraft bewegt. Aus Schweizer Sicht eine Art SlowUp – einfach auf dem Wasser statt auf dem Asphalt.

Der Name ist Programm: Die Teilnehmenden der Vogalonga müssen sich auf langes (longa) Rudern (voga) einstellen. Die Strecke beginnt und endet beim Markusplatz. Dazwischen liegen 30 abwechslungsreiche Kilometer durch die Lagune von Venedig, vorbei an den Inseln Vignole und Sant’Erasmo bis nach Burano und anschliessend zurück über Murano bis zur Zieleinfahrt über den Canal Grande. Eine Rangliste gibt es nicht, dafür unvergessliche Erinnerungen.

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