«Ah, das ist eine schöne Ecke»

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Das Städtchen birgt ungeahnte Geschichten wie jene des Kalktuff-Felsens.

Einsame, verschlungene, geschichtsträchtige Pfade in bezaubernder Jura-Landschaft prägen die Rundtour von der Haute-Ajoie nach St-Hippolyte und zurück. Das mittelalterliche Städtchen am Zusammenfluss von Doubs und Dessoubre ist gleichsam das französische Pendant zu St-Ursanne.

Ernest Ryser, Käser und Fluchthelfer

Zu wild ist unser Wandergebiet, als dass sich die Grenze je vollkommen hätte kontrollieren lassen. Das jahrhundertealte Schmugglerwesen im Gebiet ist Thema eines französischschweizerischen Velo- und Wandertourismusprojekts (www.lescheminsdelacontrebande.com). Ausprobiert haben wir’s nicht, aber es sieht nach einem guten Tipp für spielerisch Veranlagte aus, die an Bewegung und Landschaftserlebnis ebenso Freude haben wie an Kulturvermittlung.

Um Leben oder Tod ging es auf den Schmugglerpfaden nach der Kapitulation Frankreichs 1940. Bei der Kirche in Chamesol finden wir eine Tafel zu Ehren der Familien, die in der Gegend Fluchthilfe leisteten, indem sie Verpflegung und Unterschlupf boten oder bedrohte jüdische Familien, Widerstandskämpfer und alliierte Soldaten auf Schweizer Boden lotsten. Besonders hervorgehoben wird die Rolle eines Deutschschweizer Emigranten: Ernest Ryser, Dorfkäser von Chamesol. An der Rettung von über 200 Menschen war er beteiligt, zudem horchte er die Wehrmachtoffiziere aus, die in St-Hippolyte sassen und seinen Käse schätzten.

Chamesol entging im September 1944 haarscharf der totalen Zerstörung durch auf dem Rückzug befindliche deutsche Panzerverbände. Heute hat es alle Merkmale eines verschlafenen französischen Provinznests – und, welche Überraschung, ein Feinschmeckerlokal.

Ein Städtchen, zwei stattliche Flüsse

Wir glücklichen Nachgeborenen ziehen unseres Wegs, kurz über die Strasse (rund um Chamesol ist der GR 5 leider geteert), dann auf grasiger Unterlage und durch den Wald hinunter zur Wallfahrtskapelle Chapelle du Mont, über ein paar Serpentinen zum Friedhof von St-Hippolyte und ins Städtchen hinein. Zwei nette **-Häuser stehen zur Wahl. Fürs Le Bellevue sprechen Louis-quatorze-Esssaal und opulentes Frühstück, fürs Les Terrasses die Lage. Unser Gastrotipp: Le Saint Hippolyte, chez Mme Guenot.

Die Stiftskirche von 1303 hat Feuersbrünste ebenso überstanden wie Reformation, Gegenreformation und die Französische Revolution 1789 – und beherbergte 1418 bis 1452 das Turiner Grabtuch! Dominantes Element im Ortsbild ist das aufs Jahr 1700 zurückgehende Ursulinenkloster. Seit 1789 dient es weltlichen, heute wieder vorwiegend Bildungszwecken. Viel länger da sind die beiden Flüsse. Der Dessoubre sprudelt so munter daher, als wolle er dem so trägen wie kranken Doubs die dringend nötige Frischzellenkur verpassen. Pro Natura versucht beherzt zu retten, was – vielleicht – noch zu retten ist, vorab den Roi du Doubs, eine der Fischarten, die nur hier vorkommen.

Bäckerei, Metzgerei, sogar eine Kebab-Bude und ein Tattoo-Studio: St-Hippolyte lebt. Im Tourismusbüro gibt’s einen Prospekt, der die gewünschte Ergänzung zum Kartenmaterial liefert. Mehr als 20 Rundwanderungen, davon sechs mit Ausgangspunkt St-Hippolyte, schlägt er vor.

Grand-mamans Urgrosseltern

Der frühmorgendliche Nebel hat sich gelichtet. Wir gehen über die Brücke und rechts hinauf zum Bahnhof. Ab 1886 fuhren von hier Züge Richtung Montbéliard, bereits 1938 war, zumindest für den Personenverkehr, Schluss damit. Auf dem Plätzchen links hinter dem Bahnhof gehen die Wanderwege ab, der GR 5 hat uns wieder. In gleichmässiger, sanfter Steigung zieht er sich den Hang hoch. Mehrstämmige kleine Buchen spenden Schatten. Immergrün spriesst, Wandernde blühen auf. Bald kommt ein Kalktuff-Felsen in Sicht, der uns nicht ganz natürlich vorkommt. Aus einer Quelle im Wald oben rinnt das Wasser über ihn hinunter und sammelt sich zu Bächlein, denen kein Kind widerstehen kann.

Zwei sind da und lassen Plastikentchen schwimmen, beaufsichtigt von ihrer Grossmutter. Der liegt daran, uns darüber aufzuklären, dass ihre Familie hier, auf Privatterrain nämlich, für Sauberkeit sorge. Wir bedanken uns artig für das dem GR 5 eingeräumte Wegrecht, wollen wissen, was es mit dem Tuff auf sich hat – und machen grosse Augen: Madames Urgrosseltern bauten ihn ab und transportierten ihn auf einem Schienenstrang in kleinen Wagen zum Bahnhof, wo seine Reise weiterging.

Auf und ab in grandioser Kulisse

Wir ziehen weiter, vom GR 5 weg auf eine gelb-rot markierte Route, unter der «Grosse Roche» durch. Sie bietet den wohl schönsten Tiefblick auf St-Hippolyte. Zwischen Les Côtes und Les Sapois ist ein Kilometer Teersträsschen nicht zu umgehen, worauf ein eher ruppiger Pfad zur Hochebene von Chame sol hinaufführt und ein Wanderweg vom Feinsten über eine langgezogene Krete Richtung Combe Semont.

Die Grenzsteine, denen man kurz darauf begegnet, werden als Kulturerbe gepflegt. Seit dem Vortag betrachten wir sie, die mitunter Fixpunkte auf den Fluchtwegen waren, mit andern Augen. Lächeln müssen wir, als wir auf einem der «Bornes» den Berner Mutz entdecken, der hier, 1817 eingemeisselt, bis 1979 seinen symbolischen Grenzwachtdienst versah.

Welche Farben rundherum! Knabenkräuter stehen sozusagen Spalier, es ist ein Bilderbuch-Jurawald. Dann geht’s auf und ab: kurz steil hinab in die Combe, steil wieder hinauf, dann scharf rechts in den Verbindungsweg zum «Circuit des fermes», über eine Wiese abwärts zu einer Scheune und zum Durchschlupf im Zaun der nächsten Wiese. An deren Ende steigen wir in eine Senke mit zerklüfteten Felsformationen ab, wo uns Bärlauch-Duftwolken empfangen. Der Weg mündet in den verlockenden Abstieg nach Montjoie-le-Château und Vaufrey am Doubs.

Wir verzichten auf die mögliche Zusatzschleife (plus gut 1 Stunde) und peilen die Grottes de Réclère direkt an. Bis die Krete erreicht ist, auf der das gemütliche «Auslaufen» beginnt, rinnt nochmals der Schweiss. Durch den Zaun des Préhistoparc erblicken wir Dinosaurier, die da mit anderem urzeitlichem Getier lebensgross den Wald bevölkern. Der Park ergänzt den Familienausflug zur Grotte mit dem grössten Stalagmiten der Schweiz.

Den gut halbstündigen Rückweg nach Damvant sparen wir uns. Denn gleich kommt das Postauto, das am Nachmittag die Tagesausflügler nach Porrentruy zurückbringt. Und es wäre ein Jammer, nicht wenigstens zwei, drei Stunden in dessen Altstadt zu verweilen.

Praktische Informationen

Wanderzeit für die beschriebenen Routen: Damvant–St-Hippolyte 3 Std.; St-Hippolyte–Grottes de Réclère gut 4 Std. – Übernachtungsmöglichkeit bei der Grotte (Hotel, Jurte, Camping) www.randonnee.pays-horloger.com/documentation.html

Anreise: Während man von Biel oder Basel rasch in der Ajoie ist, liegt St-Hippolyte ÖV-mässig ziemlich abseits: Buslinie (Pontarlier–)Morteau–Montbéliard. Morteau liegt an der Bahnlinie La Chaux-de-Fonds–Besançon; nach Montbéliard ab Basel mit Umsteigen in Mulhouse und Belfort.

www.viamobigo.com (Linie 206)

www.ville-saint-hippolyte.fr

Was war er einst gross und weit, der Kanton Bern, sinnieren wir – frei von Nostalgie – auf der fast dreiviertelstündigen Postautofahrt von Porrentruy nach Damvant, dem westlichsten Dorf im ehemaligen «Pruntruter Zipfel». Was heute die Ajoie ist, deren Bewohner Ajoulots heissen, wurde früher auch Elsgau genannt. Grenzregionen haben oft auch ihre sprachlichen Reize.

Damvant ist am ehesten bekannt für seine Narzissenfelder und die Kirchenfenster des Pruntruter Künstlers Angi. Dem Restaurant de la Poste – Spezialität: frittierter Karpfen – ist ein kleiner Laden angegliedert, ideal, um allfällige Proviantlücken zu stopfen. Als wir aufbrechen, will ein alter Mann am Nebentisch wissen, wo wir hinwollen. «Ah, c’est un joli coin ça», meint er und wünscht freundeidgenössisch eine gute Tour. Weil wir auf der Suche nach einer möglichst kurzen Wegvariante sind, halten wir direkt auf die Grenze zu, einen Kilometer der Hauptstrasse entlang.

Ein paar Kilometer Richtung Nizza

Das Schweizer Zollgebäude steht zum Verkauf, von Uniformierten ist weit und breit nichts zu sehen. Schengen eben. Keine Spur leider auch vom Wanderweg, den die Schweizer Landeskarte (Clos du Doubs, 1:50 000) verspricht. Statt dem Grenzverlauf südwärts folgen wir notgedrungen der Strasse bis ins nahe gelegene Villars-lès-Blamont. Strommasten prägen das Strassenbild. So ähnlich die Dörfer dies- und jenseits der Grenze sind, so unverkennbar sind die feinen Unterschiede. Bloss bei den Einfamilienhaus-Neubauten ist die architektonische Einfallslosigkeit genau dieselbe.

Am Dorfplatz, wo eben eine Kinderschar den Schulbus stürmt, entdecken wir das erste weiss-rote Zeichen, eins von Abertausenden, die sich zwischen der Nordsee und Nizza reihen: Wir biegen hier auf die über 2000 km lange Fernwanderroute des GR 5 ein. Er führt uns durch den Bois Courbot in Richtung Fort Lomont. Das satte Frühlingsgrün der Buchen kontrastiert mit dem Tannengrün, dem hellen Kalk des Tafeljuras, den Farbtupfern der Frühlingsblumen.

Hie und da kreuzen wir regionale Wanderrouten. Alles ist perfekt markiert, gelb-rot, gelb-blau oder mit dem «Transdoubs»-Signet, inklusive Sonderservice à la française: Sind die beiden Farbbalken überkreuzt, heisst’s rechtsumkehrt, weil Abzweigung verpasst.

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