Wattwandern und Velofahren

Strände ohne Ende locken auf den Ostfriesischen Inseln zu jeder Jahreszeit – hier auf Juist.

Wer Natur sucht, ist auf den Ostfriesischen Inseln gut aufgehoben. Während die Insel Juist mit Ruhe auftrumpft, bietet Norderney ein abwechslungsreiches Kulturprogramm – beide Inseln lassen sich unkompliziert kombinieren.

Wattführer Heino Behring legt den Krebs sachte in die Hand des Dreijährigen. Dieser steht durchgefroren mit nackten Füssen im Schlick und schaut fasziniert auf das Tier. Der Zauber währt nur kurz. Der Krebs bewegt sich, und der Kleine lässt ihn vor lauter Schreck fallen. Bering ist zufrieden: Der Krebs hat das Kind nicht in die Hand gekniffen. Das Tier vergräbt sich derweil rasch im Sand.Behring entpuppt sich als Kenner und Schützer des Watts. Sein Paradestück sieht folgendermassen aus: Er füllt zwei grosse Einmachgläser mit trübem Wattwasser, gibt in eines davon eine Handvoll Herzmuscheln und stellt die beiden Gläser in den Schlick. Das Ergebnis sehen seine Gäste eine Stunde später auf dem Rückweg: Das Wasser im Glas ohne Muscheln ist nach wie vor trüb, das Wasser im Glas mit den Muscheln hingegen kristallklar. Die «Nieren des Watts», wie er die Herzmuscheln auch nennt, haben gearbeitet. Mit ebendieser Demonstration hat sich Bering in den 90er-Jahren erfolgreich für ein Verbot der Herzmuschelfischerei in Deutschland eingesetzt. 

Velos und kein Auto

Nach zwei Stunden im Watt ist es höchste Zeit, die steif gewordenen Glieder aufzuwärmen. Nichts bietet sich auf den Ostfriesischen Inseln dafür besser an, als Velo zu fahren. Das Zweirad ist das mit Abstand weitverbreitetste Fahrzeug. Auf Juist ist es gar das einzige – nebst Pferdefuhrwerken und der Handvoll Autos der Rettungsdienste. Veloverleihe gibt es an jeder Ecke, und wer mit Kind reist, kann problemlos einen Anhänger hinzumieten.

Es mag diesem Umstand zu verdanken sein, dass Juist eine unglaubliche Ruhe ausstrahlt. Der Fahrplan der Fähre ist von Ebbe und Flut abhängig, daher gibt es kaum Tagestouristen. Die meisten Gäste bleiben eine Woche oder länger. Da bleibt genug Zeit, um das kleine Eiland – Juist ist 17 Kilometer lang und maximal 2 Kilometer breit – ohne Hektik zu erkunden.

Rückenwind und Sand

Lohnenswert ist eine Velotour in Richtung Osten. Zuerst geht es durch das Örtchen Loog zum Hammersee. Wer ans Ufer des einzigen Süsswassersees auf einer Nordseeinsel will, muss das Velo abstellen und zu Fuss weitergehen. Es hat allerdings derart viel Gebüsch – darunter feine wilde Brombeeren –, dass der See kaum zu sehen ist. Auf zwei Rädern geht es weiter ans Ostende der Insel, wo mit etwas Glück Seehunde zu sehen sind. Trifft man hingegen auf einen Herbststurm, bleibt als einzig Tröstliches der Rückenwind für die Rückfahrt. Ja, Ostfriesland kann garstig sein.

Scheint die Sonne, locken Strände mit feinstem weissem Sand. Die Wassertemperaturen sind auch im Herbst mit knapp 20 Grad Celsius relativ mild. Baden kann aber aufgrund der Gezeiten und der starken Strömungen gefährlich sein – es gelten abgesteckte Badegebiete und festgelegte, täglich variierende Badezeiten.

Vor allem Natur und Kultur

Die Gezeiten und Strömungen verunmöglichen Schiffsverbindungen von Insel zu Insel, und die Häfen auf dem Festland liegen zum Teil weit auseinander. Eine Ausnahme bilden Juist und Norderney: Beide Inseln werden mit der Fähre von Norddeich Mole aus angefahren und lassen sich ohne grosse zusätzliche Reisezeit kombinieren. 

Norderney bildet in vielerlei Hinsicht ein Kontrastprogramm zu Juist. Das Städtchen Norderney hat knapp 7000 Einwohnerinnen und Einwohner und ist damit fast viermal so gross wie Juist. Die Überfahrt ist dank einer Fahrrinne auch bei Niedrigwasser möglich, die Fähren verkehren mehrmals täglich nach einem festen Fahrplan.

Einst in Anlehnung an das berüchtigte Lokal auf der Insel Mallorca als «Ballermann des Nordens» in Verruf geraten, setzt die Insel heute verstärkt auf nachhaltigen Tourismus. Der Versuch, an einem Freitagabend an einer der angesagten Strandbars innert nützlicher Frist ein Getränk zu bestellen, lässt aber erahnen, wie es noch vor wenigen Jahren zu- und hergegangen sein muss.

Hirsche und Kaninchen

Norderney ist die jüngste der Ostfriesischen Inseln: Sie entstand in ihrer heutigen Form im 14. Jahrhundert während eines Sturms. Touristisch gesehen ist sie hingegen die älteste: 1797 wurde auf Norderney das erste Seebad der Nordsee gegründet. An diese Zeit erinnert heute noch das Conversationshaus. Es wurde 1837 erbaut und diente den Badegästen, die damals bei Privatpersonen untergebraucht waren, als Treffpunkt.

Während im Westen der Insel das Leben pulsiert, ist der Osten nahezu unbebaut und lässt sich auf vielen schönen Velo- und Fusswegen entdecken. Wie auch auf Juist gehören 80 Prozent der Insel zum Nationalpark «Niedersächsisches Wattenmeer». Wer genau hinschaut, sieht Hirsche und Kaninchen: Die Hirsche sind, wie früher die Postkutsche, bei Niedrigwasser vom Festland übers Watt auf die Insel gekommen – und geblieben. Die Kaninchen sind quasi Überbleibsel aus der Zeit, als Ostfriesland zum Königreich Hannover gehörte: Vor 200 Jahren ausgesetzt, um vom König gejagt zu werden, durchlöchern sie heute noch unaufhaltsam und zahlreich die Wiesen.

Mondän oder esoterisch?

Der westlichste Punkt der Insel Norderney lässt sich nur zu Fuss erreichen. Der Weg über die Dünen ist schwer begehbar: Immer wieder stehen Passagen unter Wasser, und nicht immer gelingt der Sprung weit genug, um trockene Füsse zu behalten. An der Spitze der Insel locken ein Wrack – je nach Wind ist es allerdings fast vollständig von Sand bedeckt – und eine gute Sicht auf die benachbarte Insel Wangerooge.So verschieden die beiden Inseln, in einem Punkt sind sich die Juister und die Norderneyer einig: Ihre ist die Schönste. Der Gast kann es nicht sagen: Was ihm Norderney zu mondän, ist ihm Juist zu esoterisch – die raue Natur gefällt beiderorts. Was er hingegen weiss: Er kommt wieder und will sich auch von den anderen fünf Inseln ein Bild machen.

Informationen

Anreise: tagsüber via Köln nach Norddeich Mole – ab Zürich ca. 10,5 Stunden Reisezeit – oder mit dem Nachtzug von Basel nach Hannover und weiter via Emden nach Norddeich Mole.Die Fährableger nach Juist und Norderney befinden sich direkt beim Bahnhof. Fährtickets können vor Ort gekauft werden – Achtung: Sie dienen zugleich als Gästekarten und müssen bis nach der Rückfahrt aufbewahrt werden.

Übernachten auf Juist: mondän im Strandhotel Juist (www.strandhotel-kurhaus-juist.com), für alle anderen gibt es zahllose Ferienwohnungen in allen Kategorien (www.juist.de)

Übernachten auf Norderney: Michels Hotels bietet eine breite Palette an Hotels und Ferienwohnungen (www.michelshotels.ch)

Wattführung mit Heino Bering: www.heino-juist.de – Wattwandern ist ohne Führer gefährlich und verboten!

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