Pizzo d’Evigno, schon gehört?

«Das unbeschwerte Gehen kommt gefühlsmässig einem Hinunterschweben nahe» – der Kretenweg vom Gipfel nach Torria prägt sich ein.

Das Hinterland von Imperia an der ligurischen Küste dürfte einigen bekannt sein, weil es exzellentes Olivenöl hervorbringt. Aber als Wandergebiet? Nun, gäbe es für Berge Gütesiegel wie für Wein, der Pizzo d’Evigno wäre ein Superiore DOCG.

Ein grosses Metallkreuz und eine meerwärts blickende Madonna zieren den Gipfel des Monte Torre (989 m ü. M.), wie der Pizzo d’Evigno auch heisst. Uns bietet sich ein Rundblick, der andernorts die Tourismusbranche von einem Drehrestaurant träumen liesse. Das Meer, heute leider mit Wolken statt mit Korsika, der Apennin bis wer weiss wohin, die unzähligen Täler zwischen den Küstenstädten Albenga und San Remo …

Silbergrün leuchten die Olivenhaine herauf, Rosttöne steuert das Laub der Eichenwälder zum Farbenspiel bei. Dazwischen helle Einsprengsel: die kleinen, kompakten «borghi». Die Bergdörfer sitzen gern in Geländesätteln oder sonnen sich an Südhängen. 

Zum zweiten Mal innert vier Tagen sind wir hier. Zum Jahresausklang stiegen wir über den Südgrat von Costa d’Oneglia aus auf – zauberhafte dreieinhalb Stunden lang, über 900 Höhenmeter, doch fast mühelos. Für den Auftakt in die Wandersaison 2020 nun haben wir uns den kürzesten, rund anderthalbstündigen Zugang ab Evigno vorgenommen. Er beginnt beim Kirchplatz, wo der Bus wendet. Oder, wenn das Ristorante Panorama Dianese offen ist, auf dessen Terrasse mit Meersicht. Das Strässchen geht bald in einen Saumpfad über. Von ihm zweigt ein Bergweg links ab, der durch Eichenwald sanft gegen den Talabschluss hinaufführt, bevor er sich, über einen Geländerücken, nach Westen wendet. Auf ihm erreicht man rund 100 Höhenmeter unterhalb des Pizzo dessen Südgrat, begrüsst von Pferden, die hier oben in freier Wildbahn leben.

Weite, einfach nur endlose Weite

Kurzer Blick zurück: Wo würden wir, von anderswoher aufgestiegen, den Weg hinunter nach Evigno suchen? Denn die Wanderkarten widersprechen sich, und signalisiert ist nichts. Wir notieren: Vom Gipfel aus erkennt man im erwähnten Geländerücken den obersten Gratausläufer – der als solcher Wegweiser spielen muss. Erste Steinmännchen und dann auch Farbmarkierungen werden nicht lange auf sich warten lassen. 

Unser gut zweistündiges Nachmittagsprogramm führt nordwärts, auf die schneebedeckte Kette der Ligurischen Alpen zu (Bild oben). Grösstenteils erwarten uns sanft abfallende, grasige Bergrücken, durchsetzt mit Kalksteinbrocken und -bändern: Das unbeschwerte Gehen kommt gefühlsmässig einem Hinunterschweben nahe.

Nachdem der Weg zum Passo di S. Giacomo rechts abgegangen ist und der Grat in weitem Bogen gegen Westen zieht, gibt’s vorerst keine Markierungen mehr, doch was soll’s: Immer nahe am höchsten Punkt bleiben; ab der Crocetta, an deren Fuss Torria sitzt, lotsen dann rote Punkte auf Pfadspuren durchs Gestrüpp am nordseitigen Hang. Im Gegensatz zu unserer alten Karte kennt die neue die Route schändlicherweise nicht mehr. Es ist und bleibt ein Kreuz mit dem italienischen Kartenmaterial.

Glückselig kommen wir im eindrücklichen mittelalterlichen Dorf Torria an, das sogar eine Trattoria hat (La Remissa), nach Viertel vor drei aber keinen Bus mehr. Da auch ein attraktiver Fussweg ins Tal fehlt, heisst es Taxi bestellen – oder auf Teer 3 km nach Chiusanico hinüber und von dort in circa 30 Minuten nach Chiusavecchia hinunterwandern.

Zwei Stadthälften, doppelter Charme

Gegen Abend dann schlendern wir, hin und her, auf und ab, über den imposanten, faszinierend bebauten Altstadt-Hügel von Porto Maurizio, die Postkartenansicht von Imperia. Just zum Sonnenuntergang sind wir am Westfuss beim kleinen, von Restaurants gesäumten Hafen. Alles fotografiert, und dann läuft tatsächlich auf einem Pier, Kilometer weiter vorn, auch noch jemand durch den auf dem Wasser sitzenden Feuerball. 

Essen gehen wir im andern, auf Mussolinis Geheiss 1923 mit Porto Maurizio fusionierten Stadtteil. Oneglia, wenig(er) touristisch, glänzt mit einladenden Arkaden und Altstadtgassen, dem Museo dell’Olivo sowie einem Lungomare mit Laubengang voller Restaurants und Bars. Im Bacicadda kann man den Chef – «freschissimo!», «l’ho fatto io», «hai capito?», «freschissimo!» – eine Nervensäge finden oder lustig. Jedenfalls ist seine Küchenequipe bravissimo. Das «Black horses» übrigens ernennen wir, kleines Ritual, zur Bar mit den feinsten Apérohäppchen.

Die ganze Talschaft trägt Olivgrün

Wir pendeln in diesen Tagen zwischen zwei Welten. Hier Stadt und Agglomeration, prunkvolle Villen und grosskotzige Yachten, dort endlose Olivenhaine, Macchia und die Ensembles altehrwürdiger Steinhäuser, von frisch herausgeputzt bis höchst renovationsbedürftig, stets dominiert vom Kirchturm.

Zur Einstimmung auf die Gegend sei die kurze, landschaftlich reizvolle Busfahrt nach Vasia empfohlen. In der sympathischen Bar GiRò fliesst der Wein über Leitungen an der Decke auf den Tisch. Und die Festtagswünsche an «unsere Mitbürger» an der Rathauspforte kommen parallel in tadellosem Deutsch daher.

Vasia liegt an der schönen Wanderroute Chiusavecchia–Lucinasco–Wallfahrtskirche S. Maddalena–Monte Acquarone–Vasia–Molini (Hostaria-Pizzeria-Bar Prelà!)–Dolcedo. Und in zwei, drei Stunden gelangt man von Vasia zum für seine Weihnachtskrippe berühmten Borgo S. Agata (Bus) oberhalb von Imperia: hinab durchs Dorf, über den Bach, links an einer Kapelle vorbei und das Teersträsschen hinauf. Entweder bis zur Krete des Hügelzugs, um diese dann südwärts zu begehen. Vorteil: karge Vegetation, tolle Aussicht, wenig Teer. Oder man folgt dem Wegweiser zur Kirche S. Anna und durchstreift bis zum Dörfchen Montegrazie (Bus) Olivenhain um Olivenhain (anschliessend leider Hartbelag). Eintönig? Eine Einübung in Meditation!

Mit Hilfe von maps.me finden wir von S. Agata zur Antennenanlage über der Stadt – und die in sie hinunterführende «Direttissima»: durch Macchiagebüsch über einen Autobahntunnel hinweg, Stadt- und Bergwandern in einem. Wir landen bei der Kirche Cristo Re (Salita Bertella). 

Silvester-Theater in Costa d’Oneglia

In diesem hübschen, stadtnahen Bergdorf wirten seit sechs Jahren Manuela und Claudio, der von hier stammt, in der Bar Frantoio, wo einst Olivenöl gepresst wurde. Wie bei vielen ähnlichen Gaststätten beschränken sich die Öffnungszeiten – zumindest im Winter – auf Freitag bis Sonntag plus Feiertage. Zu Hause sind die beiden in Asti im Piemont. «Claudio hat immer gesagt, nach seiner Pensionierung wolle er etwas für die Wiederbelebung des Dorfs tun», erklärt uns die stolze Grossmutter – und macht sich am nächsten Gang des Silvestermenüs zu schaffen.

Das Albergo gegenüber, das ein Schmuckstück gewesen sein muss, liegt im Dornröschenschlaf da, angeblich schon seit 30 Jahren.

Um Mitternacht zünden sehr, sehr anständige junge Leute auf dem Domplatz ein paar Raketen. Ein Nachbar stürzt aus dem Haus, zetert und sieht Italien im endgültigen Niedergang. Das Wirtepaar ignoriert ihn und hält mit der Kamera drauf. Empört eilt eine Frau herbei, die ihren Hund im Sterben wähnt. Abgang. Ein Mann mit zwei kleinen Kindern tritt auf. Ungerührt lässt auch er es ein wenig knallen und sprühen. Darauf herrscht wieder scheinbar sehr friedliche Stille.

Der Anfang einer grossen Liebe

Zurück zum Pizzo d’Evigno. Denn Chiusanico darf hier nicht fehlen. Im unteren Teil ein Strassendorf – mit der Bar Girasole und Lebensmittelladen –, ist es im oberen Teil ein typisches ligurisches «borgo». Von dort zogen wir zur Erstbesteigung los und verliebten uns: in die knorrigen Ölbäume, die Bruchsteinmauern, die Mulattiera und den Macchiapfad, auf dem wir, das Gipfelkreuz längst vor Augen, einen felsigen Talkessel voll dorniger Büsche, Ginstersträucher und kleiner Steineichen durchquerten. Wir staunten über die Genügsamkeit der grasenden Kühe und fanden die Orientierung auf ihren Trampelpfaden kinderleicht.

Letzteres lernten wir zu relativieren: Im Abstieg nach Chiusanico gilt es, akkurat auf die rot-weissen Markierungen zu achten. Wer auf circa 850 m auf die «Sorgente Noci» gestossen, unter Dornengestrüpp durchgeschlüpft und wenige Meter unterhalb der Quelle scharf rechts eingespurt ist, wird allerdings kaum mehr fehlgehen.

Das Tüpfelchen auf dem i: Auch Cervo, eine, wenn nicht die architektonische Perle an der Riviera di Ponente, ist ins Evigno-Wegnetz eingebunden. Sieben Stunden werden wir wohl brauchen für die Überschreitung des gesamten «Massivs» von Torria bis ans Meer. Und deren sechs bis zum Ciapà-Park, dem Ziel eines in den Wanderführern angepriesenen kleinen Rundgangs. Schöner als in ihm und dann mit den Gässchen und Plätzchen, der Barockkirche und dem verträumten Strand von Cervo kann eine Wanderung kaum enden.

Informationen

Anreise und öffentlicher Nahverkehr

Am schnellsten geht’s natürlich über Mailand und Genua. Wer gerne auch mal bummelt, sollte die Route über (Mailand/Novara–)Turin–Fossano–Ceva–Savona in Betracht ziehen. Nirgendwo steht der Alpenbogen grandioser vor dem Zugfenster.

Anders als in den bekannten Badeorten Alassio und Laigueglia fährt der Zug in Imperia nicht mehr gleichsam an den Strand. Die Stationen an der Neubaustrecke Richtung Ventimiglia sind 1 bis 2 km vom Meer entfernt. 

Shuttlebus zur Verkehrsdrehscheibe

Piazza Dante in Oneglia, wo auch die (teils sehr spärlichen) Busse zu den erwähnten Ausgangs-/Zielorten abfahren (jener nach Evigno startet in Diano).

An Sonn-/Feiertagen ist nur die Linie San Remo–Andora in Betrieb. Sie erschliesst alle Orte dazwischen – und damit Küsten-Spaziergänge. Wenn Busfahrplan – www.rivieratrasporti.it (/Upload/Orari/) – und Wanderprojekt nicht zusammenpassen, hilft Imperias Stadttaxi-Betrieb: +39 0183 37 37.

Auskünfte: urs.geisernoSpam@verkehrsclub.noSpamch

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