Nach nur sechseinhalb Stunden Fahrtzeit ab Bern treffe ich in Venezia Santa Lucia ein. An diesem Tag ist im ohnehin lebendigen Venedig noch mehr los: Tausende Menschen stehen auf der Strasse, um gegen die Kreuzfahrtriesen zu demonstrieren. Am Sonntag davor hat ein solcher, ausser Kontrolle geratener, Gigant beim Anlegen ein Ausflugsschiff gerammt. Vier Personen wurden leicht verletzt, es hätte aber auch viel schlimmer enden können.
Es sind nicht die ersten Proteste: Die Wellen und die Wasserverdrängung der riesigen Schiffe gefährden die Fundamente des Weltkulturerbes und bedrohen das sensible ökologische Gleichgewicht in der Lagune.
Endlich auf dem Wasser
Am Pfingstsonntag ist es so weit. Ratlose Touristengruppen stellen fest, dass heute keine Wasserbusse fahren. Dafür können sie beobachten, wie sich Rudergruppen fürs Einwassern bereitmachen, Faltbootbesitzerinnen ihre Boote zusammenbauen und SUP-Paddler ihre Bretter aufpumpen: Die Vogalonga geht los.
Aus allen Kanälen strömen die kleinen und grossen Boote an den Start vor dem Markusplatz. Dort, auf dem Canale della Giudecca, hat es genügend Platz für die über 7000 Ruderinnen und Ruderer. Um Punkt 9 Uhr gibt eine Kanonensalve unüberhörbar das Startzeichen und die Ruderboote, Gondeln, Drachenboote, Seekajaks und allerlei andere Boote setzen sich in Bewegung.
Am Anfang ist Umsicht gefragt: Die Boote sind unterschiedlich schnell und benötigen weniger (Kajaks) oder mehr (Ruderboote) Platz. Die einen blicken in Fahrtrichtung, die andern auf ihr Fahrwasser zurück. Der Seegang hält sich zum Glück in Grenzen. Einzig der Gegenwind setzt den stehenden Paddlerinnen und Paddlern zeitweise zu.
Zeit für Bekanntschaften
Weil die Vogalonga kein klassisches Rennen ist, bleibt unterwegs Zeit für Gespräche und Bekanntschaften. Da ist der SUP-Paddler vom Lido, dieser vorgelagerten Insel, welche die Laguna di Venezia von der Adria trennt. Dort, so erzählt er, sei er bei guten Wellenbedingungen regelmässig an seinem Lieblingsstrand auf dem Brett anzutreffen.
Im traditionellen Vierer-Ruderboot sitzt eine fünfköpfige Familie aus Venetien. Auf dem Steuerplatz sitzt gerade der zehnjährige Junge und fragt alle, die an seinem Boot vorbeifahren, aus welchem Land sie kommen und was das Spezielle daran sei. In Burano erliegen einige der Versuchung einer Eisdiele – trotz ausreichend Streckenproviant der Organisatoren.
Die Vogalonga ist ein politisches Statement. Aber auch ein eindrückliches Erlebnis mit Wassersportfreunden aus vielen Nationen. Es ist diese Kombination, die den besonderen Reiz der Veranstaltung ausmacht.
Kurz vor Ende der 30 Kilometer langen Strecke: Der Canale Cannaregio ist blockiert. Polizisten in Uniform auf Jetskis lotsen die verbleibenden Boote auf einem Schleichweg durch die Kanäle, bis sie auf dem Canal Grande wieder mit den anderen Booten zusammentreffen.
Das Publikum säumt den Kanal. Kein Motorenlärm übertönt die Paddelschläge und die Zurufe. Bei der Durchfahrt unter der Rialtobrücke wird es richtig laut. Am Ziel offeriert ein Barbetreiber direkt am Wasser spontan Sekt und Käse. Mit einem Glas in der Hand geniesse ich vom Wasser aus den Blick auf den Markusplatz.