Beim Abstieg kommt uns ein entkräftetes Paar entgegen – der Mann trägt einen hechelnden, 40 Kilo schweren Hund auf den Schultern. Einige hundert Meter von unserem Platz entfernt stehen zwei weitere Zelte. Ansonsten sind wir ganz alleine. Nach einem einfachen, aber leckeren Essen – Teigwaren mit veganer Bolognese –, das wir auf dem Gaskocher zubereiten, geniessen wir die Ruhe und bewundern den Sternenhimmel.
Am nächsten Morgen starten wir den Tag mit einer Flussdusche und einem gediegen Frühstück – Rösti, Porridge, Kaffee, Brot und Hummus. Weil der Platz so schön ist, machen wir uns erst gegen Mittag auf den Weg. Unser Plan, circa vier Stunden laufen und ein zweites Mal in der Schlucht übernachten, geht leider nicht auf. Der einzige geeignete Platz, um das Zelt aufzustellen, ist zu nahe am Flussufer. Es bleibt uns nichts anders übrig, als weiter bis zum Point Sublime zu wandern.
Die Strecke führt rauf und runter und uns immer wieder zu neuen Aussichtspunkten. Die Umgebung vermischt mediterrane mit alpinen Merkmalen. Auf unserer Wanderung durch die Schlucht treffen wir immer wieder auf neue Pflanzen, unglaublich viele Schmetterlinge sowie Gänsegeier, die an den Hängen nisten.
Helfende Hände
Entgegen meinen Befürchtungen begegnen wir nur wenigen Menschen. Einmal holen wir eine erschöpfte Frau mit knallrotem Kopf aus Österreich ein. Sie möchte wissen, ob sie den letzten Bus am Endpunkt noch erwischen kann. Wir wissen es leider nicht, aber versichern ihr, dass der Weg in dieser Gehrichtung einfacher ist, als wenn sie umdrehen und zurück zu ihrem Auto gehen würde. Während sie ihren Weg fortsetzt, entscheiden wir uns für ein Bad im Verdon.
Mehrere Felstreppen, kleine Klettersteige, eine steile Metalltreppe mit 250 Stufen (die Brèche Imbert) sowie zwei Tunnel (der zweite ist 700 Meter lang) führen uns schliesslich zum Point Sublime. Dort müssen wir feststellen, dass wir den letzten Bus verpasst haben. Aber das Glück ist auf unserer Seite. Wir treffen erneut auf die Österreicherin. Während wir gemütlich gebadet hatten, fand sie eine Mitfahrgelegenheit zu ihrem Auto und entschied dort spontan, zwei Wanderer zum Point Sublime zu fahren. Freudig nimmt sie uns im Auto mit.
Weil wir bei 35 Grad Celsius alle drei das Verlangen verspüren, ins kühle Nass zu springen, fährt sie uns an unser Wunschziel, den Lac de Chaudanne, einen der drei Stauseen oberhalb der Schlucht. Nach einem – inzwischen kargen – Abendessen übernachten wir direkt am türkisfarbenen See. Am nächsten Tag wandern wir gemütlich in zwei Stunden auf der berühmten Route Napoléon zurück nach Castellane.
Wehmut trotz Stechmücken
Dort angekommen, freuen wir uns auf das Panini-Restaurant, das wir bereits am Anreisetag entdeckt haben. Zwar nicht der Gaumenschmaus des Jahres, nach Karotten mit Hummusdip – Letzterer litt definitiv zu lange unter der Hitze – sowie Pasta ohne Sauce, aber ein Festessen. Gegen Abend steigen wir in den Bus Richtung Entrevaux, wo am nächsten Morgen unser Zug nach Nizza abfahren wird.
Entrevaux hatten wir eigentlich nicht auf unserem Programm, möchten den kurzen Zwischenstopp in diesem charmanten mittelalterlichen Städtchen aber im Nachhinein nicht missen. Es steht direkt zwischen zwei mächtigen Felshängen und ist voller Festungsruinen. Obwohl wir inzwischen ziemlich erschöpft sind, erklimmen wir die 150 Meter höher gelegene Zitadelle. Die verlassene Ruine wirkt mit ihren zerfallenen Kerkern fast gespenstisch. Wir finden eine schöne Stelle für unser Zelt und geniessen den Weitblick über das Tal und die Schlucht der Chalvagne.
Ein bisschen betrübt darüber, dass die Reise bereits zu Ende ist, steigen wir am nächsten Morgen in die Schmalspurbahn in Richtung Nizza. Die zweieinhalbstündige Fahrt entlang dem schönen Naturpark Préalpes d’Azur hebt unsere Laune wieder. Meinen Begleiter konnte ich zwar nicht restlos von Wanderferien überzeugen – was aber zu einem gewissen Teil auch an den vielen Stechmücken lag, die es hauptsächlich auf ihn abgesehen hatten. Die Schönheit der Verdonschlucht konnte das aber längst wettmachen.
In Nizza bleibt uns gerade noch genügend Zeit, um uns einen Moment lang im Meer treiben zu lassen und die Heimreise mit Salz in den Haaren anzutreten.