Faszination Wasser

Die Aussicht vom Chalet de la Maline – hier startet unser Abstieg.

Die Verdonschlucht in Südfrankreich ist einer der grössten Canyons in Europa. Auf einer Wanderung hat sich die Autorin davon überzeugt, dass es auch einer der schönsten ist.

Mit türkisfarbenem Wasser, bis zu 700 Meter hohen Kalkfelsen und einer artenreichen Vegetation imponiert die Verdonschlucht in der Provence offenbar jeder Naturliebhaberin. Ich hatte allerdings meine Zweifel, ob die eindrucksvollen Bilder im Internet ihr Versprechen halten. Deshalb wollte ich mich selber davon überzeugen, ob die Verdonschlucht zu Recht als eine der schönsten Schluchten Europas gilt. Auch wenn ich fürchtete, dass die Gegend – gerade in meinen Ferien Anfang Juli – von Touristen überströmt sein könnte.

Ich überzeugte meinen Begleiter davon, dass Wanderferien auch 23-Jährigen Spass machen können, und wir fuhren mit dem Zug nach Castellane (siehe Kasten «Mit dem Zug nach Castellane»), der Ausgangspunkt der Verdonschlucht.

Etwas für jede

Wer Wasser mag, entscheidet sich für Riverrafting, eine Fahrt im Wildwasserkajak oder eine gemütlichen Pedalofahrt im Fluss Verdon. Wer einen Adrenalinkick sucht, kann mit einem Gummiseil um die Füsse vom Pont de l’Artuby springen. Es gibt 500 Kletterrouten, die allesamt mit dem Abseilen beginnen, und 6 Wanderrouten durch die Schlucht.

Wir wählen den Sentier Blanc-Martel, einen 15 Kilometer langen Wanderweg hinunter in die Schlucht und wieder hoch. Die sechsstündige Wanderung mit mittlerem Schwierigkeitsgrad verteilen wir auf zwei Tage. Ausgangspunkt ist das Chalet de la Maline, Ankunftsort der Point Sublime. Ein Bus fährt mehrmals täglich von Castellane bis zum Eingang der Schlucht und zurück. Möglich ist die Anreise auch mit dem Schluchttaxi oder einfach per Autostopp – was gut funktioniert.

Wir wollen in der Schlucht campieren, damit wir frühmorgens aufbrechen können. Deshalb steigen wir abends in die Schlucht hinunter. Bereits kurz nach dem Abstieg entdecken wir am Ufer ein geeignetes Plätzchen für unser Zelt. Aber Vorsicht, der Verdon fliesst wegen der drei Stauseen, die sich oberhalb der Schlucht befinden, unregelmässig. Deshalb sollte – darauf machen auch Schilder aufmerksam – nicht direkt am Flussbett übernachtet werden.

Festmahl und Sternenhimmel

Beim Abstieg kommt uns ein entkräftetes Paar entgegen – der Mann trägt einen hechelnden, 40 Kilo schweren Hund auf den Schultern. Einige hundert Meter von unserem Platz entfernt stehen zwei weitere Zelte. Ansonsten sind wir ganz alleine. Nach einem einfachen, aber leckeren Essen – Teigwaren mit veganer Bolognese –, das wir auf dem Gaskocher zubereiten, geniessen wir die Ruhe und bewundern den Sternenhimmel.

Am nächsten Morgen starten wir den Tag mit einer Flussdusche und einem gediegen Frühstück – Rösti, Porridge, Kaffee, Brot und Hummus. Weil der Platz so schön ist, machen wir uns erst gegen Mittag auf den Weg. Unser Plan, circa vier Stunden laufen und ein zweites Mal in der Schlucht übernachten, geht leider nicht auf. Der einzige geeignete Platz, um das Zelt aufzustellen, ist zu nahe am Flussufer. Es bleibt uns nichts anders übrig, als weiter bis zum Point Sublime zu wandern.

Die Strecke führt rauf und runter und uns immer wieder zu neuen Aussichtspunkten. Die Umgebung vermischt mediterrane mit alpinen Merkmalen. Auf unserer Wanderung durch die Schlucht treffen wir immer wieder auf neue Pflanzen, unglaublich viele Schmetterlinge sowie Gänsegeier, die an den Hängen nisten.

Helfende Hände

Entgegen meinen Befürchtungen begegnen wir nur wenigen Menschen. Einmal holen wir eine erschöpfte Frau mit knallrotem Kopf aus Österreich ein. Sie möchte wissen, ob sie den letzten Bus am Endpunkt noch erwischen kann. Wir wissen es leider nicht, aber versichern ihr, dass der Weg in dieser Gehrichtung einfacher ist, als wenn sie umdrehen und zurück zu ihrem Auto gehen würde. Während sie ihren Weg fortsetzt, entscheiden wir uns für ein Bad im Verdon.

Mehrere Felstreppen, kleine Klettersteige, eine steile Metalltreppe mit 250 Stufen (die Brèche Imbert) sowie zwei Tunnel (der zweite ist 700 Meter lang) führen uns schliesslich zum Point Sublime. Dort müssen wir feststellen, dass wir den letzten Bus verpasst haben. Aber das Glück ist auf unserer Seite. Wir treffen erneut auf die Österreicherin. Während wir gemütlich gebadet hatten, fand sie eine Mitfahrgelegenheit zu ihrem Auto und entschied dort spontan, zwei Wanderer zum Point Sublime zu fahren. Freudig nimmt sie uns im Auto mit.

Weil wir bei 35 Grad Celsius alle drei das Verlangen verspüren, ins kühle Nass zu springen, fährt sie uns an unser Wunschziel, den Lac de Chaudanne, einen der drei Stauseen oberhalb der Schlucht. Nach einem – inzwischen kargen – Abendessen übernachten wir direkt am türkisfarbenen See. Am nächsten Tag wandern wir gemütlich in zwei Stunden auf der berühmten Route Napoléon zurück nach Castellane.

Wehmut trotz Stechmücken

Dort angekommen, freuen wir uns auf das Panini-Restaurant, das wir bereits am Anreisetag entdeckt haben. Zwar nicht der Gaumenschmaus des Jahres, nach Karotten mit Hummusdip – Letzterer litt definitiv zu lange unter der Hitze – sowie Pasta ohne Sauce, aber ein Festessen. Gegen Abend steigen wir in den Bus Richtung Entrevaux, wo am nächsten Morgen unser Zug nach Nizza abfahren wird.

Entrevaux hatten wir eigentlich nicht auf unserem Programm, möchten den kurzen Zwischenstopp in diesem charmanten mittelalterlichen Städtchen aber im Nachhinein nicht missen. Es steht direkt zwischen zwei mächtigen Felshängen und ist voller Festungsruinen. Obwohl wir inzwischen ziemlich erschöpft sind, erklimmen wir die 150 Meter höher gelegene Zitadelle. Die verlassene Ruine wirkt mit ihren zerfallenen Kerkern fast gespenstisch. Wir finden eine schöne Stelle für unser Zelt und geniessen den Weitblick über das Tal und die Schlucht der Chalvagne.

Ein bisschen betrübt darüber, dass die Reise bereits zu Ende ist, steigen wir am nächsten Morgen in die Schmalspurbahn in Richtung Nizza. Die zweieinhalbstündige Fahrt entlang dem schönen Naturpark Préalpes d’Azur hebt unsere Laune wieder. Meinen Begleiter konnte ich zwar nicht restlos von Wanderferien überzeugen – was aber zu einem gewissen Teil auch an den vielen Stechmücken lag, die es hauptsächlich auf ihn abgesehen hatten. Die Schönheit der Verdonschlucht konnte das aber längst wettmachen.

In Nizza bleibt uns gerade noch genügend Zeit, um uns einen Moment lang im Meer treiben zu lassen und die Heimreise mit Salz in den Haaren anzutreten.

Mit dem Zug nach Castellane

Für die Reise mit dem Zug in die Provence gibt es drei Möglichkeiten: Die schnellste Verbindung – mit dem Zug nach Grenoble und danach weiter mit dem Bus nach Castellane – dauert 9 Stunden. Der Bus fährt allerdings nur zwei Mal täglich, ist im Interrail-Pass nicht inbegriffen und kostet rund 30 Euro.

Die zweite Möglichkeit ist die Anreise mit dem Schnellzug über Mailand oder Lyon nach Nizza und weiter mit dem Bus. Für die meisten Schnellzüge sind Reservationen in der Höhe von 20 Euro erforderlich, zudem ist es empfehlenswert, in der Hochsaison möglichst früh zu reservieren. Die Reise mit Regionalzügen ist ebenfalls möglich, verlängert die Zugfahrt ab Bern aber um circa 4 Stunden.

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