#Öffentlicher Raum

Ein exemplarischer Spaziergang

Edith Weber – VCS-Magazin 1 / 2022

Der öffentliche Raum birgt für ältere Menschen zahlreiche Herausforderungen. 
Der Spaziergang der Autorin durch die Stadt Bern zeigt einige auf – inklusive möglicher Lösungsansätze.

Was hilft:

  • Sitzgelegenheiten
  • getrennte Fuss- und Velowege
  • öffentliche Toiletten  

Was hemmt: 

  • Stufen
  • beschädigte Bodenbeläge
  • wuchernde Hecken
  • schlechte Beleuchtung

Samstags verwandelt sich der Berner Bundesplatz in einen bunten Wochenmarkt. Beim Anblick der schön arrangierten Verkaufswaren schwirren mir tausende «gluschtiger» Rezeptideen durch den Kopf. Nach getanem Einkauf und einem Kaffeeplausch mit einer Freundin beschliesse ich, zu Fuss nach Hause zu gehen. Dieses Mal werde ich meinen Heimweg ganz speziell aus Sicht älterer Menschen begehen.

Ältere Menschen sind oft zu Fuss unterwegs. Als ausgebildete Gerontologin weiss ich um die Herausforderungen, mit denen ältere Menschen im öffentlichen Raum konfrontiert sind. Welchen Schwierigkeiten und Gefahren begegnen sie und wo stossen sie auf hilfreiche Ansätze? Das möchte ich exemplarisch an meinem Heimweg aufzeigen.

Sitzbänke und Unebenheiten

Der Weg führt mich zuerst quer über den Bundesplatz zur Bundeshausterrasse. Ich bestaune die wunderschöne Sicht über die Aare und auf das einmalige Panorama mit Eiger, Mönch und Jungfrau. Die vielen Sitzgelegenheiten laden dabei zu einer Pause ein. Gerade ältere Menschen schätzen regelmässige Sitzgelegenheiten auf ihren Wegen.
Kurz vor dem Brückenkopf haben sich, durch den Unterbau des Parkhauses und wohl über die Jahre, Wölbungen gebildet. Teilweise ragen sie bis zu vier Zentimeter aus dem Boden. Das mag nicht nach viel klingen, ist aber für Menschen, die weniger gut zu Fuss unterwegs sind, tückisch. Und gerade wenn, wie an diesem Tag im Spätherbst, zusätzlich Laub auf dem Boden liegt, ist es sehr schwierig, die Unebenheiten zu erkennen. Ich muss aufpassen, dass ich nicht mit dem Fuss einknicke.
Weiter geht es zur Kirchenfeldbrücke, die das Kirchenfeldquartier mit der Berner Altstadt verbindet. Mein Blick fällt auf die Tramhaltestelle, die ich heute nicht nutzen werde: Sie ist so gestaltet, dass ein schwellenloses Einsteigen – mindestens in die Niederflurtrams – problemlos möglich ist. Ich weiss, wie wichtig das ist, denn zu hohe Schwellen machen älteren Menschen Angst. 

Überholmanöver und Mittelinseln

Beim Überqueren der Brücke wird der Blick auf die Kunsthalle und das Bernische Historische Museum frei. Mein Heimweg führt mich weiter entlang der Thunstrasse zum Thunplatz durch das wunderschöne Kirchenfeldquartier. Auf der rechten Seite der Strasse befindet sich ein breites Trottoir. Hier muss ich mir allerdings als Fussgängerin den Platz mit den Velofahrenden teilen. Dies führt oft zu schwierigen und mühsamen Situationen.

Ältere Menschen, aber auch kleinere Kinder erschrecken, wenn sie von einem Velo ohne Vorwarnung und mit geringem Abstand überholt werden. 

Beim Kreisverkehr am Thunplatz überquere ich die Kirchenfeldstrasse auf dem Fussgängerstreifen. Zwar hat es in der Strassenmitte einen Verkehrsteiler – umgangssprachlich auch Mittelinsel genannt –, was grundsätzlich die Sicherheit älterer Menschen, aber auch von Kindern erhöht. Trotzdem fühle ich mich beim Queren dieser stark befahrenen Strasse unsicher. Stehe ich in der Mitte, fahren auf der linken Spur hinter mir Autos mit sehr hoher Geschwindigkeit. Die rechte Spur ist zweispurig; ich bin mir nie sicher, ob mich die Fahrerinnen und Fahrer in den heranbrausenden Autos auf der äusseren Spur auch wirklich sehen, wenn ich auf dem Fussgängerstreifen laufe. Das evoziert gerade bei älteren Menschen mit eingeschränkter Reaktionsfähigkeit Unsicherheiten und Ängste.

Wurzeln und Gauner

Endlich auf der anderen Strassenseite angekommen, befinde ich mich am Rande des Dählhölzliwaldes. Am Waldrand gehe ich in Richtung Elfenauquartier und stosse auf das nächste Hindernis: Baumwurzeln haben den Asphalt an vielen Stellen aufgerissen – für ältere Menschen regelrechte Stolperfallen. Zwar teile ich mir auch hier den Weg mit den Velos, dafür ist der Weg am Waldrand entsprechend belebt. Gerade ältere Menschen wissen das zu schätzen, denn es nimmt ihnen die Furcht davor, Opfer eines Überfalls zu werden.
Der letzte Teil meines Heimwegs führt über einen schönen Fussweg. Es ist Platz genug, um den entgegenkommenden Velofahrerinnen und Velofahrern auszuweichen. Allerdings ist der Weg auf beiden Seiten stark abfallend. Es braucht eine gute Reaktionsfähigkeit und Sehschärfe, um nicht versehentlich abzuknicken und sich den Knöchel zu verletzen.

Wundermittel Bewegung

Es ist der ruhigste Moment auf meinem Heimweg und er lässt mir Zeit für ein paar Gedanken zum Thema. Die heutigen älteren Menschen mussten im Gegensatz zu früheren Generationen weniger körperlich anstrengende Arbeiten ausführen. Daher ist regelmässige Bewegung, sei dies für den Einkauf, das Spazieren in der Natur, Velofahren, aber auch Krafttraining umso wichtiger geworden. Die Bewegung wirkt sich nicht nur positiv auf die Lebensqualität und das Wohlbefinden aus, sie schützt auch vor Krankheiten wie Bluthochdruck, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Übergewicht. Zusätzlich hilft Bewegung, um im Alter weniger pflegebedürftig zu werden und möglichst lange geistig fit zu bleiben. 

Zu Hause angekommen, packe ich Früchte und Gemüse vom «Märit» aus und erfreue mich am eben erlebten, schönen und sonnigen Herbstspaziergang. 

Werde ich auch im höheren Alter diesen Samstagseinkauf weiterführen können? 
Mit Wegen, die auch auf die Bedürfnisse älterer Menschen Rücksicht nehmen, könnte ich auch in zwanzig Jahren meine Einkaufstradition aufrechterhalten. Und damit könnte ich am öffentlichen Leben teilhaben, meine sozialen Kontakte pflegen und Einsamkeit vorbeugen.

Mit diesem Wunsch bin ich nicht allein: Laut Bundesamt für Statistik dürfte der Anteil der über 65-Jährigen in der Schweiz bis zum Jahr 2050 von heute 18,9 Prozent auf 25,6 Prozent ansteigen.

Umfrage: was denken Sie?

1.

Ist der öffentliche Raum für die Bedürfnisse der Seniorinnen und Senioren gut ausgestattet?

   

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