#Referat

Der öffentliche Verkehr muss jederzeit und einfach zugänglich bleiben

Anders Gautschi, 21. November 2023, Medienkonferenz «Einfacher und berechenbarer öV-Zugang für alle»

    

    

Es gilt das gesprochene Wort.

Der öffentliche Verkehr ist bei der Bewältigung der klimapolitischen Herausforderungen einer der zentralen Schlüssel. Um die verkehrspolitischen Verlagerungs- und Klimaziele zu erreichen, müssen unbedingt mehr Menschen auf den öffentlichen Verkehr umsteigen.

Dazu braucht es zwei Dinge: Erstens ein flächendeckendes öV-Netz und zweitens einen einfachen Zugang zu ebendiesem. Dabei kommt dem Billettsortiment und dem Verkauf eine essenzielle Rolle zu.

Mit der Digitalisierung ändern sich auch die Möglichkeiten, Gewohnheiten und Wege, Billette für den öV zu kaufen. Das ist bequem und durchaus ein Fortschritt. Es birgt aber auch Risiken, welche nicht zu unterschätzen sind: Ein intransparentes Tarifsystem – wie es etwa mit dem Modell «MyRide» angedacht ist – oder die völlige Abkehr vom analogen Papierbillett kann Menschen benachteiligen oder ganz vom öV ausschliessen. Das wäre eine fatale Entwicklung: Denn Mobilität ist für die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zentral.

    

Für den VCS stehen bei der Ausgestaltung eines Tarifsystems darum drei Punkte im Zentrum:

1. Tiefe Einstiegshürden: Alle Menschen haben einfachen Zugang zum öV
Der öffentliche Verkehr muss grundsätzlich allen offen stehen. Unabhängig von den Kompetenzen hinsichtlich Technik und ohne den Zwang zur Nutzung spezieller Geräte. Besonderes berücksichtigt werden müssen dabei folgende Gruppen:

  • Kinder, ältere Menschen oder Menschen mit Beeinträchtigungen, welche nicht in jedem Fall Zugang zu einem Smartphone haben.
  • Menschen ohne SwissPass und ohne Zugang zu digitalen Zahlungsmitteln. Etwa Menschen ohne Ausweispapiere, Personen mit keinem oder tiefem Einkommen, Armutsbetroffene oder Touristinnen und Touristen.
  • Menschen, die den öV noch nicht regelmässig nutzen und sich mit dem Verkaufssystem kaum auskennen.

    

2. Transparentes Tarifsystem und vor Reiseantritt bekannte Preise
Ein verständliches und transparentes Tarifsystem lässt Preisvergleiche zu und ist für die Glaubwürdigkeit des öV unerlässlich. Auch der Gesetzgeber sieht vor, dass die Tarife für Reisende in «vergleichbarer Lage vergleichbare Bedingungen» vorsehen. Die Preise müssen darum für die gleiche Reise grundsätzlich immer gleich sein. Individuelle «Tarifwelten» und «dynamische Preise», die auf Grundlage des Verhaltens in der Vergangenheit berechnet werden, widersprechen diesem Prinzip.

Zudem können dynamische Reisepreise die Mobilität auf unerwünschte Weise ankurbeln: Weil häufiges Fahren mit sinkenden Billettpreisen «belohnt» wird, werden Vielfahrende ermutigt, noch mehr zu fahren. Dies widerspricht dem Ziel der Verkehrsvermeidung. Spartickets, welche eine Verlagerung von den Haupt- zu den Nebenverkehrszeiten dienen oder kombinierte Angebote als Anreiz zur Nutzung des öV sind davon ausgenommen.

Wer hingegen wenig fährt, wird mit hohen Einstiegspreisen abgeschreckt. Dies kann das Verlagerungsziel weg von der Strasse und hin zum öV durch einen kaum vorhersehbaren Billettpreis ausbremsen.
 

3. Datenschutz gewährleisten: Reisedaten gehören den Passagieren – nicht den öV-Unternehmen
Ein wichtiger Nebeneffekt: Durch die fortschreitende Digitalisierung hinterlassen die öV-Fahrgäste immer mehr Daten. ÖV-Unternehmen können die zurückgelegte Strecke sehr präzise verfolgen und die Reisedaten mit Personendaten verknüpfen – dies führt immer öfter zu «gläsernen» öV-Passagieren. Die Betreiber haben begonnen, diese Daten in immer grösserem Ausmass systematisch zu sammeln und zu speichern.
Dies ist legitim, wenn es ausschliesslich der Sicherheit und Planung im Sinne der Kundinnen und Kunden und dem Kerngeschäft der Transportleistung dient.
Völlig falsch wäre es hingegen, wenn die Kundendaten zu Werbezwecken verwendet oder sogar verkauft würden.

 

Der VCS stellt sich keineswegs gegen eine sinnvolle Weiterentwicklung des Tarifsystems und sieht in Anpassungen des Billettverkaufs an neue Möglichkeiten und Gewohnheiten durchaus Vorteile.

Die öV-Branche soll aber ihre Kundinnen und Kunden weder erziehen noch zur Umstellung zwingen. Erst recht nicht jene Menschen, welche – aus welchen Gründen auch immer – die veränderten Möglichkeiten nicht nutzen möchten oder nutzen können. Solche Personen mit hohen Einstiegshürden, intransparenten Tarifen und löchrigem Datenschutz vom öV auszuschliessen, könnte der VCS nicht gutheissen.

    

21. November 2023


Anders Gautschi, Geschäftsführer VCS Verkehrs-Club der Schweiz

    

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