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22. August 2024
Wenn Kinder Raeder bekommen
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Wenn Kinder Räder bekommen

Velofahren ist kinderleicht. Velofahren auf der Strasse eine oft gefährliche Herausforderung. Über den (langen) Weg von den ersten Fahrversuchen bis zur ernstzunehmenden Velotour.

Zum gefühlt hundertsten Mal rufe ich: «konzentrieren.» Innerhalb von weniger als vier Stunden. Wir sind auf dem Velo unterwegs von Bern nach Solothurn, zwei Elternteile und der Siebenjährige. Es sind flache 40 Kilometer, zumeist auf Velowegen und Nebenstrassen. Mit Sandwiches und allerlei Süsskram ist die Laune trotz der Strapazen gut. Aber beginnen wir von vorne. Kinder lernen heute auch dank Trottinetts und Laufrädern früh Velofahren. Trottinettfahren ist möglich, sobald sich das Kind selbstständig auf zwei Beinen halten kann. Erste Versuche auf dem Laufrad, sobald die Beine lang genug sind, um auf beiden Seiten den Boden zu berühren. Dass Abwärtsfahren Spass macht und Bremsen überbewertet wird, ist bei Kleinkindern zuverlässiger Grundsatz. Seitens Eltern braucht das entweder starke Nerven oder gute Sprintfähigkeiten. Es gilt auch: Aufwärtsfahren ist mühsam. Da werden Kind (und Trottinett oder Laufrad!) gerne getragen.

Dass Abwärtsfahren Spass macht und Bremsen überbewertet wird, ist bei Kleinkindern zuverlässiger Grundsatz.

Fehlende Voraussetzungen

Beim Siebenjährigen wurde der Wunsch früh wach, ein richtiges Velo (aka Pedalvelo) zu fahren. Eine erste Gelegenheit ergab sich am dritten Geburtstag einer Kita-Freundin. Tatsächlich fuhr er nach einer halben Stunde ohne Hilfe die ersten Meter. Für den anwesenden Elternteil war allerdings rasch klar, dass es von diesen ersten Metern im Park bis zum Velofahren auf der Strasse noch ein langer Weg würde.

Dazu ein paar Fakten: Kleinkinder erkennen nicht, ob ein Fahrzeug steht oder fährt. Sie nehmen Gefahren häufig nicht wahr oder erkennen sie nicht als solche. Das Richtungshören ist erst mit sechs bis sieben Jahren vollständig entwickelt. Kleinere Kinder können Geräusche, die von der Seite und von hinten kommen, noch nicht lokalisieren. Bei einem Erstklässler, einer Erstklässlerin ist das Blickfeld erst zu etwa 70 Prozent ausgebildet. Erst mit zehn Jahren können Kinder Geschwindigkeiten annähernd richtig einschätzen.

Diese Kombination aus mangelnden Fähigkeiten und vorhandenen Gefahren machen das Fahren auf der Strasse (und oft schon das Fahren auf dem Trottoir) zu einer herausfordernden Aufgabe – für alle Beteiligten. Es braucht viel Übung. Eignen tun sich Sonntagvormittage, etwa um ungestört das Fahren im Kreisverkehr oder das Queren einer Kreuzung mit Lichtsignalen zu üben. Fährt das Kind an einem sicheren Ort, schont es die Nerven, auch mal wegzuschauen. Freihändig fahren ist gar nicht schwierig.

Vorhandener Wille

Bekanntlich ist die Entwicklung nicht gradlinig. Beim Siebenjährigen kam jüngst der Wunsch auf, wieder Trottinett zu fahren. Am liebsten auf dem Weg zur Schule. Dann doch lieber freihändig Velofahren... Die Schule erlaubt das Trottinetfahren auf dem Schulweg zum Glück (noch) nicht.

Zurück zur Velofahrt nach Solothurn: Der Blick des Siebenjährigen bleibt immer seltener beim Geschehen vor dem eigenen Rad und schweift immer öfter und länger wahlweise zum Vogel oben links, zum EBike-Fahrer oder auch gleich in die eigene Welt. Auch der Blick der Eltern schweift zunehmend länger als nötig über die Wiesen oder (auch neidvoll) zu den Rennvelofahrerinnen, die uns eben überholt haben – «konzentrieren, alle!»