VCS wehrt sich gegen neues Tarifsystem
Die Alliance Swiss Pass plant, ein neues Tarifsystem einzuführen. Statt einfacher zu werden, sollen für jede Kundin, jeden Kunden – erst nach der Fahrt – individuelle Preise berechnet werden. Damit torpediert die Branchenorganisation die Preistransparenz und erhöht die Hürden für die ÖV-Nutzung.
Die ÖV-Tarifwelt ist nicht immer einfach zu durchschauen. Wegen der unterschiedlichen Preislogiken von Strecken- und Zonenbilletten kann es vorkommen, dass die gleiche Fahrt unterschiedlich viel kostet. Wer beispielsweise für die Fahrt von Bern nach Jaun, Dorf ein normales Streckenbillett löst, zahlt 47.20 Franken. Wer hingegen ein direktes Billett nach Freiburg und ein Verbundbillett für die restliche Strecke löst, zahlt insgesamt nur 31 Franken. Die Politik hat diese Problematik erkannt und der ÖV-Branchenorganisation Alliance Swiss Pass den Auftrag erteilt, das Tarifsystem zu vereinfachen.
Ein Preisplan für jede Person?
Die Antwort der Alliance Swiss Pass darauf ist ein weiteres, «drittes Tarifsystem». Es trägt den Projektnamen «myRide» und soll in vielen Punkten eine neue Logik haben. Es befindet sich in der Pilotphase und soll ab 2025 eingeführt werden. Auch wenn viele Aspekte noch nicht abschliessend geklärt sind, hat die Alliance Swiss Pass bereits erste Leitlinien definiert: Alle Fahrten sollen in einem «lückenlosen digitalen Reisetagebuch» aufgezeichnet werden, bezahlt wird im Nachhinein. «Post-Payment», wie das Prinzip im Fachjargon heisst, gibt es beispielsweise bereits bei «EasyRide». Dort berechnet eine App im Nachgang zur Fahrt den optimalen Preis – bei eingangs erwähntem Beispiel würde die Kombination aus direktem Billett nach Freiburg und Verbundbillet nach Jaun, Dorf verrechnet werden.
Bei «myRide» sollen, das ist der problematische Punkt, die Preise im Unterschied zu «EasyRide» aber nicht mehr im Vornhinein festgelegt werden und für alle gleich sein. Stattdessen sollen sie für jede und jeden individuell und erst nach einem noch festzulegenden Zeitraum vom System berechnet werden. Die Alliance Swiss Pass spricht von einem «intelligenten Taxometer», abhängig vom individuellen Fahrverhalten. Bei diesem «Post-Pricing» verändern sich die Preise potenziell nach jeder Fahrt («sie passen sich laufend an das jeweilige Konsumverhalten [...] an», wirbt Alliance Swiss Pass). Der Fahrgast kreiert durch sein Fahrverhalten seine Preise quasi selbst.
Das setzt völlig falsche Anreize: Personen, die bereits oft den ÖV nutzen, werden über den Preis dazu animiert noch mehr zu fahren. Personen, die nur gelegentlich mit Zug oder Bus fahren, bezahlen hingegen den Maximaltarif. Damit steigt das Risiko, dass letztere aus dem ÖV-System aus- oder gar nicht erst einsteigen.
Das Ziel: nur noch «myRide»
Geht es nach der Alliance Swiss Pass, sollen über kurz oder lang möglichst alle Personen auf das neue Tarifsystem umsteigen. Das würde auch bedeuten, dass die bisherigen Strecken- und Zonenbillette langfristig nicht mehr angeboten werden. Um das Ziel von Alliance Swiss Pass zu erreichen, müssten Kundinnen und Kunden, welche nicht umsteigen wollen, voraussichtlich aktiv «gepusht » werden: Indem sie von Rabatten ausgeschlossen werden oder es ihnen erschwert wird, überhaupt den ÖV zu nutzen – beispielsweise durch die Abschaffung der Billettautomaten.
ÖV-Nutzende als Daten-Milchkühe
Die Stossrichtung von «myRide» scheint klar: eine maximale individuelle Abschöpfung von Billetteinnahmen auf Kosten der Preistransparenz. Einen möglichen Ausschluss von Menschen, denen der Umstieg auf «myRide» schwerfallen würde, etwa Kinder, ältere Menschen, Leute ohne Smartphone oder Touristin Touristinnen und Touristen, nimmt die Alliance Swiss Pass dafür offenbar in Kauf. Das widerspricht klar dem Ziel, die Hürden beim Billettkauf für alle möglichst tief zu halten, damit mehr Leute vom Auto auf den Zug, den Bus oder das Tram umsteigen.
Mit diesem neuen System werden zudem in Zukunft viel mehr Fahrten über das Smartphone getrackt. Dadurch fällt ein riesiger Berg an Daten an, der den ÖV-Betreibenden zur Verfügung steht. Was sie mit diesen Daten machen, war diesen Frühling in den Zeitungen zu lesen: Anstatt sie ausschliesslich ÖV-intern für einen besseren Betrieb zu verwenden, werden die Kundinnen und Kunden in «Kundenwertsegmente» eingeteilt und die Daten für Werbezwecke verkauft.
Zugfahren auch ohne Smartphone!
Um sicherzustellen, dass diese fragwürdigen Pläne der Alliance Swiss Pass nicht Realität werden, hat der VCS gemeinsam mit der Stiftung für Konsumentenschutz (SKS) festgelegt, welche minimalen Anforderungen im Interesse der ÖV-Kundinnen und -Kunden eingehalten werden müssen:
- Alle Menschen – auch solche, welche nicht mit Smartphone-Tracking im ÖV unterwegs sein wollen oder können – müssen in Zukunft ein Billett kaufen können und dürfen dabei nicht benachteiligt werden.
- Das Tarifsystem darf nicht noch komplizierter werden, die Kosten für eine Zugfahrt müssen vor der Fahrt bekannt und für alle gleich sein.
- Anonymes Zugfahren muss weiterhin möglich sein. Die Bahnnutzenden dürfen nicht faktisch dazu gezwungen werden, ihre persönlichen Fahrten aufzeichnen zu lassen, nur damit die Bahnunternehmen mit dem Verkauf dieser Daten Geld machen können.