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12. August 2024
Mobilité Seniors
Nicolas Righetti

Erfahrung und Inspiration

Viele Seniorinnen und Senioren haben Respekt vor dem ÖV. Dass dies nicht sein muss, zeigen vier inspirierende Interviews mit Tipps für den Umstieg vom Auto auf Zug, Bus und Tram und das tägliche Unterwegssein im Alter.

Senior*innenportraits Annemarie Nubel
VCS
Annemarie Nübel

Annemarie Nübel, sind Sie gerne Auto gefahren?

Ja, aber nicht leidenschaftlich.

Heute fahren Sie nicht mehr?

Letztes Jahr wurde ich 80 Jahre alt und habe mich entschieden, den Führerschein abzugeben. Das war für mich ein guter Zeitpunkt. Fünf Jahre zuvor habe ich eine Fahrstunde absolviert. Das war sehr gut. Die junge Fahrlehrerin, die nie belehrend oder kritisierend auf mich wirkte, bestätigte mir die Fahrtüchtigkeit. So konnte ich den Zeitpunkt für den Umstieg auf den ÖV selbst bestimmen.

Wie organisieren Sie sich im Alltag?

Ein Einkaufstrolley ist ein Muss. Wir haben (noch) einen Dorfladen. Da kaufe ich mit dem Velo ein. Und ich habe Zeit, mehrmals einkaufen zu gehen, ich muss keinen Kofferraum füllen! Falls nötig, kann ich jederzeit Rotkreuz- oder Betax-Fahrdienste beanspruchen.

Viele fürchten beim Umstieg die technischen Herausforderungen. Haben Sie einen Tipp, wie man andere dafür begeistern kann?

Sich im ÖV einleben heisst aufmerksam bleiben, sich konzentrieren müssen. Als Beispiel: Umsteigen in Zürich, Wechsel von Perron 5 auf Perron 32, acht Minuten Zeit … Beim ersten Mal fühlte ich mich gestresst, aber ich
habe es geschafft.

Ich komme am Zürcher Hauptbahnhof bis heute nicht ganz zurecht …

Wirklich? Dieser Bahnhof ist genial. Verständlichere, grössere, besser beleuchtete Infos kann ein Bahnhof nicht bieten. Die Lifte, die Rolltreppen: super! An Bahnhöfen nimmt man so vieles auf, auch wenn man einmal warten muss. In solchen Momenten setze ich mich hin und nehme mir die Zeit zum Beobachten des Kommens und Gehens; oft ergeben sich auch kurze Gespräche mit Unbekannten. Was für eine Bereicherung!

Das klingt nicht, als würden Sie das Autofahren vermissen!

Es ist schön, dass ich mich um gewisse Dinge nicht mehr kümmern muss: Stress bei der Parkplatzsuche, Zeitdruck mit Parkuhren oder fehlendes Kleingeld. Diese Freiheiten spüre ich. Im Zug zu fahren, heisst auch, hinauszuschauen und Landschaften anders zu erfahren und zu geniessen. Ich erlebe oft mehr als mit dem Auto.

Senior*innenportraits Pitzl
VCS
Horst Pitzl

Horst Pitzl, Sie haben im Vorfeld gesagt, Sie fühlen sich ohne Auto wie «ein Engel ohne Flügel». Warum haben Sie den Führerschein abgegeben?

Ich werde 87 Jahre alt und bin damit in einem Alter, in dem es vernünftig ist, nicht mehr Auto zu fahren. Das Alter diktiert den Rhythmus, Schnelligkeit ist im Augenblick nicht mehr selbstverständlich.

Welche Erfahrungen machen Sie mit dem ÖV?

In Bern braucht man kein Auto und ich habe ein GA. Ich kann mir das leisten, das können nicht alle, das sehe ich als Problem. Bern ist vorbildlich, alle fünf bis zehn Minuten hat man eine ÖV-Verbindung, überall hin, ganz tadellos.

Welchen Tipp haben Sie für andere, die das Auto abgeben möchten?

Das ist schwierig, das ist eine sehr persönliche Angelegenheit. Eine Herausforderung ist der Umgang mit der digitalen Welt. Mein Sohn ist Informatiker und sagt immer: «Vater, du bist einfach nicht damit aufgewachsen.» 

Das ist für Jüngere einfacher ….

Es ist wie eine neue Sprache lernen. Wir Älteren kennen den Umgang mit realen Dingen: Nehmen wir ein Objekt in die Hand, begreifen wir es. Anders als die jungen Menschen mit diesen Geräten, das ist eine andere Welt. Wir mogeln uns durch (lacht).

Das ist auch eine Kunst!

Es ist wie mit der Sprache: Man kann etwas immer auch umschreiben.

Nicht nur die Menschen ändern sich, auch die Autos.

Genau, und doch sind immer noch 1,3 Milliarden Verbrennerautos in der Welt unterwegs. Wenn man über die Zukunft und den Verkehr nachdenkt, kommt unweigerlich die Frage auf, ob wir uns auf Zeit und Ewigkeit diese Dualität Schiene und Strasse leisten können.

Senior*innenportraits Barben
VCS
Monika Barben

Monika Barben, Sie besitzen ein GA, wie lange schon?

Mit 70 Jahren bekam ich von einer Freundin eines geschenkt. Damals sagte ich, das lohne sich nicht. Als ich es dann hatte, kam mir ein Gedanke: Jetzt fährst du einmal in jeden Kantonshauptort der Schweiz.

Für viele ist Zugfahren eine Hürde.

Als Kind stand ich einmal am Bahnhof und dachte: Wäre ich als Junge geboren, würde ich Lokführer werden. Das war aber früher nicht möglich. Dafür habe ich jetzt ein GA. Es ist einfach schön, Zeit am Bahnhof und im Zug zu verbringen. Einmal wollte mir eine Freundin aus dem Wallis Käse mitbringen. Da bin ich von Spiez nach Bern gefahren, habe sie getroffen und fuhr anschliessend mit dem Käse zurück nach Hause.

Welche Tipps geben Sie jemandem, der Angst davor hat, den ÖV zu nutzen?

Wenn ich irgendeine Frage habe, gehe ich in Spiez an den Schalter. Dort erhalte ich tolle Auskunft! Lange hatte ich eine Freundin, die hatte auch ein GA, wir waren viel zusammen unterwegs. Sie meinte mal, sie sei dankbar, dass ich ihr das Wallis gezeigt habe, sie kannte es vorher nicht.

Man müsste sich also einfach trauen und es ausprobieren?

Ich hatte nie Probleme. Ich hatte immer Freude an der Eisenbahn, das war mein Ein und Alles. Man kann auch einmal einen Zug verpassen, macht nichts, man nimmt einfach den nächsten.

Gibt es Situationen, in denen Sie sich unsicher fühlen und sich Veränderungen im öffentlichen Raum und beim Verkehr wünschen?

Nein, ich beschäftige mich im Vorfeld immer mit der Route. Ich fahre einfach nicht gerne durch Tunnel. Probleme hatte ich nie wirklich. Einmal habe ich eine Frau zum Augenarzt begleitet, sie war praktisch blind. Wir sind in Bern in einen Zug gestiegen, der nach Fribourg fuhr, dabei wollten wir nach Spiez (lacht). Das hat aber weder mir noch ihr etwas ausgemacht!

Senior*innenportraits Caterine Genoud
VCS
Catherine Genoud

Catherine Genoud, wieso haben Sie das Auto abgegeben?

Vor allem aus Umweltschutzgründen, aber ich mag auch das Zugfahren sehr! Ich muss mich nicht ums Fahren kümmern. Ein Auto ist praktisch, wenn man Dinge transportieren will. Hat man keines, muss man sich organisieren oder einen Lieferdienst in Anspruch nehmen.

Wie organisieren Sie sich, wenn Sie doch mal auf ein Fahrzeug angewiesen sind?

Wir kommen gut zurecht, bei Bedarf können wir ein Auto von Freunden nutzen oder greifen auf Mobility zurück.

Besitzen Sie ein GA?

Nein, für uns lohnt sich das im Moment finanziell nicht. Ich habe ein Halbtaxabo und wenn man sich frühzeitig organisiert, gibt es viele Sparbillette. Bucht man sechs Wochen im Voraus, gibt es Tageskarten für nur 29 Franken.

Gibt es Dinge, die Sie ohne eigenes Auto nicht mehr machen können?

Wir müssen uns einfach organisieren. Ich entdecke viele Stellen in und um Lausanne, die ich überhaupt nicht kannte, weil wir früher mit dem Auto unterwegs waren und uns nicht allzu viele Fragen gestellt haben.

Haben Sie einen Ratschlag für Menschen, die darüber nachdenken, mit dem Autofahren aufzuhören?

Es ist wichtig, die anderen Verkehrsmittel zu nutzen, bevor man zu alt ist, um seine Gewohnheiten zu ändern. Das Auto ist einfach, aber ich denke, dass man etwas vom Leben verpasst, wenn man mit dem Auto überall hinfährt.

Was zum Beispiel?

Es sind einfache Dinge, wie Menschen im Bus zu grüssen. Es ist eine soziale Verbindung! Das ist zwar auch nicht das Allheilmittel (lacht ), aber es ist schön. Im Gegensatz zum Auto: Man geht rein, man geht raus, man sieht niemanden.

Ihr Rat ist, sich bereits vor dem Abgeben des Autos im ÖV zu bewegen?

Ja, die Busse und die Züge ausprobieren. Denn wenn das alles unbekannt ist, macht es Angst. Zu Fuss zu gehen, bringt einen auch dazu, sich zu bewegen, das ist gut für die Fitness. Es ist doch viel schöner, im Park spazieren zu gehen, anstatt mit dem Auto ins Fitnessstudio zu fahren.