Der «Rayon Vert» von Renens
Lichtdurchflutet, begrünt und geräumig – der «Rayon Vert» verbindet den durch Bahngleise geteilten Norden und Süden Renens. Die Brücke für Fussgängerinnen und Fussgänger hat die Jury des «Flâneur d’Or» überzeugt. Den Zug zu erwischen, ist seit der Eröffnung im Jahr 2021 ein Spaziergang.
Durch ein Netz aus Maschendraht, das von Kletterpflanzen umschlungen ist, sieht man von dieser Brücke für Fussgängerinnen und Fussgänger aus auf die Gleise. Eine Frau stösst ihr Fahrrad über den Asphalt, ein Vater steigt mit dem Kinderwagen in den Lift, um seinen Zug rechtzeitig zu erreichen. Gebaut wurde die Brücke aus Metallpfeilern, Licht dringt durch das hellblaue Dach. Hölzerne Bänke ziehen sich über die ganze Länge des Konstruktes. Treppen, Rolltreppen und Lifte führen davon auf die Perrons. Es ist gemütlich, hier auf den Zug zu warten. Eine ältere Dame isst einen Apfel, während sie die Passantinnen und Passanten beobachtet. Die Leute sind entspannt, auf dem «Rayon Vert» in Renens.
Die Leute sind entspannt, auf dem «Rayon Vert» in Renens.
Reichlich Platz für alle
Früher gelangte man durch eine enge Bahnunterführung vom Süden in den Norden der Ortschaft. Zu den Stosszeiten verstopften den Durchgang unter anderem viele Leute, die zum Campus der Hochschulen wollten. Dies stellte eine besondere Herausforderung für Menschen mit eingeschränkter Mobilität dar.
Die lichtdurchflutete «Rayon Vert»-Brücke entschärfte mit der Eröffnung im Jahr 2021 den Konflikt. Sie verbindet den Place de la Gare und den nördlich gelegenen Place du Terminus. Bus, Zug, U-Bahn und zukünftige Strassenbahn lassen sich einfach und schnell erreichen. Die Brücke ist 150 Meter lang. Durch ihre grosszügige Breite, die zwischen elf und 16 Metern variiert, bietet sie reichlich Platz. Renens ist immerhin der drittgrösste Bahnhof in der Westschweiz nach Genf und Lausanne, 30 000 Reisende und 600 Züge pro Tag queren den Knotenpunkt.
Die Überquerung ist an den Enden gebogen. Ein vorteilhafter Effekt der Krümmungen: Sie verkürzen die in unserer Wahrnehmung zu überwindende Länge. Der Name der Brücke stammt aus dem Roman «Le Rayon vert» von Jules Verne. Der Efeu, der die Fassade überwächst, sorgt das ganze Jahr über für das grüne Erscheinungsbild des Konstruktes.
Der «Rayon Vert» ist nicht nur praktisch, er punktet auch durch seine Ästhetik.
Gemütlich zu Fuss
Das Projekt überzeugte die Jury des «Flâneur d’Or – Fussverkehrspreis Infrastruktur». Die Allianz aus VCS, Fussverkehr Schweiz und weiteren Partnerorganisationen zeichnet alle drei Jahre und zum elften Mal Projekte aus, die die Attraktivität des Zufussgehens erhöhen. Gemeinsam mit Interessierten feierte sie die Preisverleihung am 6. Oktober in Renens. Das «Rayon Vert»-Projektteam gewann ein Preisgeld in der Höhe von 10 000 Franken. An der Umsetzung beteiligt waren Technikerinnen und Techniker der Gemeinden Renens, Chavannes-près-Renens, Crissier und Ecublens und des Kantons Waadt. Die Bauarbeiten dauerten insgesamt vier Jahre.
Sieben weitere Projekte erhielten eine Auszeichnung, drei andere eine Erwähnung. Alle ausgezeichneten Projekte porträtieren die Zeitschrift «Hochparterre» und die Website des «Flâneur d’Or». Die Jury hatte insgesamt eine Auswahl von 59 Projekten, 31 davon stammen aus der Westschweiz. Der Wettbewerb richtet sich an Gemeinden, Organisationen, Unternehmen, Ingenieur- und Planungsbüros sowie Gruppen und Fachpersonen.
Begrünt und bunt: Die Rue des Echelettes in Lausanne wurde von der Jury des Flâneur d'Or 2023 ausgezeichnet.
Innovativ und funktional
Die Jury besteht aus zehn Personen, viele davon sind Geografen oder Architektinnen. Auch in der Gruppe ist Michael Rytz, VCSProjektleiter Verkehrssicherheit und Geograf. Die Expertinnen und Experten haben die Projekte in vier Wettbewerbskategorien eingeteilt. Bewertet haben sie die Eingaben nach acht Kriterien. So spielen beispielsweise Funktionalität und Sicherheit, Innovation, die Vorgehensweise des Projektteams und der Mehrwert für die Bevölkerung eine Rolle. Wichtig für die Bewertenden ist, dass eine Besichtigung vor Ort möglich ist – das Projekt muss bei der Eingabe des Dossiers also mindestens teilweise umgesetzt sein.
«Die trennende Wirkung von Bahngeleisen in dicht besiedelten Gebieten ist vielerorts ein Thema. Mit der neuen, 150 Meter langen Fussgängerbrücke mit Bahnzugang und angrenzenden Plätzen für den Aufenthalt, begrünt und eingebettet in das übergeordnete Fusswegnetz, hat Renens weit mehr als nur eine neue Verbindung zwischen Norden und Süden geschaffen. Nachahmung und Inspiration erwünscht», sagt Rytz.
Auch in Zukunft wichtig sind Projekte, die die Bedürfnisse von mobilitätseingeschränkten Personen von Anfang an berücksichtigen. Diese Anpassungen im Nachhinein vorzunehmen, ist zeitaufwändig und teuer. Angesichts der voranschreitenden Klimaerwärmung heisst die Jury ausserdem Projekte willkommen, die mit grosszügiger Begrünung die Aufenthaltsqualität auch bei sommerlichen Temperaturen gewährleisten. Sie wünscht sich Raumplanungskonzepte, die das Zufussgehen vereinfachen und attraktiv gestalten – was uns auch einer klimafreundlichen Zukunft einen Schritt näherbringen.