Was macht Strassen attraktiv
Gut sichtbare Fussgängerstreifen, Geschwindigkeitsbeschränkungen, abgesenkte Trottoirs: Ausgehend von den Bedürfnissen der Kinder und alten Menschen führen die Mobilitätskonzepte des VCS zu Empfehlungen, die Lust darauf machen, sich zu Fuss fortzubewegen.
Auf dem Trottoir gehen zwei kleine Mädchen mit Rucksack und Leuchtgurt zur Schule. Ein paar Meter weiter überquert ein junges Paar den Fussgängerstreifen mit einem Kinderwagen, in dem ein Baby vor sich hin plappert. Sie kreuzen einen älteren Mann mit zögerndem Schritt, der sich auf einen Gehstock stützt. Die Ampel wechselt auf Rot, er hält an, um zu warten.
Diese banale Szene kann sich irgendwo abspielen, jeden Tag. Als Spielfeld oder Kampfzone ist die Strasse Mittelpunkt unserer Mobilität. Damit sich jede Nutzerin und jeder Nutzer im öffentlichen Raum sicher und angenehm fortbewegen kann, müssen die Bedürfnisse und Herausforderungen erkannt und bei der Gestaltung berücksichtigt werden.
In den letzten Jahrzehnten hat die Ausbreitung des Autos unsere Städte verändert und die Fussgängerinnen und Fussgänger an den Rand der Strasse gedrängt. «Wer zu Fuss geht, muss einen öffentlichen Raum zurückerobern, in dem viele immer grössere Fahrzeuge unterwegs sind», stellt Emilie Roux, Projektleiterin beim VCS, fest. Im «Bureau romand» in Genf ist sie für die Mobilitätskonzepte Schule zuständig und arbeitet mit Gemeinden, Kantonen und Schulen zusammen.
Im Büro nebenan entwickeln Rodrigo Lurueña und seine Kollegin Paola Nagel Petrucci Mobilitätskonzepte für Seniorinnen und Senioren, ein in mancher Hinsicht ähnliches Projekt. Mit beiden Konzepten will der VCS den Fussgängerinnen und Fussgängern eine Stimme geben und dazu beitragen, dass sie sicherer und angenehmer unterwegs sein können.
Alle profitieren von …
Mit ihrem partizipativen Ansatz stellen die Mobilitätskonzepte die Betroffenen ins Zentrum. Sich auf Augenhöhe der Kinder begeben und mögliche Gefahren auf dem Schulweg erfassen oder verstehen, was ältere Menschen bremst oder sicherer macht: Das Vorgehen beruht bei beiden Mobilitätskonzepten auf einem detaillierten Fragebogen, mit dem jede Strassensituation erfasst werden kann.
«Ein Mobilitätskonzept Schule erarbeitet massgeschneiderte Lösungen, aber man merkt, dass die gleiche Art von Massnahmen in mehreren Gemeinden empfohlen wird, weil die Problematik häufig ähnlich ist», sagt Roux. Was für den Schulweg Sinn macht, bringt oft auch älteren Menschen etwas. So sind die Empfehlungen in den Mobilitätskonzepten Schule oft identisch mit den Schlussfolgerungen der Mobilitätskonzepte für Seniorinnen und Senioren. «Zum Beispiel in Sachen Sichtbarkeit oder dem Miteinander mit anderen Verkehrsmitteln können die älteren Personen denselben Schwierigkeiten begegnen wie Kinder», bestätigt Lurueña.
Wenn die Kinder zu Fuss zur Schule gehen können, eignen sie sich schrittweise Bewegungsfreiheit an. Bei älteren Menschen bedeutet es, dass sie eine wichtige Unabhängigkeit bewahren können.
… einem besseren Miteinander
Um die Fussgängermobilität zu fördern, muss der öffentliche Raum für alle gedacht werden. Wenn die Autofahrenden vom meisten Platz profitieren, sind Sicherheit und Komfort aller übrigen Nutzerinnen und Nutzer gefährdet.
Für Kinder ist es ebenso wie für Seniorinnen und Senioren manchmal schwierig, Distanzen und Geschwindigkeiten richtig einzuschätzen. Rund um die Schulen und in den stark befahrenen Zonen ist mit einer Geschwindigkeitsbeschränkungauf maximal 30 km/h eine Reduktion der Gefahren und des Autoverkehrs möglich. «Diese Massnahme lässt sich leicht umsetzen und erweist sich als sehr effizient», sagt Roux. «Bei gewissen Schulhäusern wird manchmal sogar ein Fahrverbot für die Zeiten eingeführt, in denen die Schule beginnt respektive zu Ende geht.» Das wird zum Beispiel bei der Vignettaz- Schule in Freiburg der Fall sein, für die der VCS ein Mobilitätskonzept Schule erarbeitet hat.
Sehen und gesehen werden
In den letzten Jahren ist feststellbar, dass die älteren Menschen weniger unterwegs sind. Weil der öffentliche Raum ihnen kaum gerecht wird, aber auch, weil das Vertrauen fehlt. «Das mit dem Alter abnehmende Sehvermögen macht das Unterwegssein zu Fuss komplizierter», erklärt Lurueña. Bei den Empfehlungen achtet man deshalb auf die Höhe der Trottoirs und andere Hindernisse, ebenso auf die Qualität der öffentlichen Beleuchtung.
Personen, die zu Fuss unterwegs sind − welchen Alters auch immer −, brauchen freie Wege, durchgehende Trottoirs und gut sichtbare Querungsmöglichkeiten. «Ein Fussgängerstreifen lässt sich leicht sicherer machen, indem ein zu naher Parkplatz aufgehoben wird», führt Roux als Beispiel an. Das gleiche gilt für Trottoirs, auf die private Ausfahrten hinausführen. Es wird also auf eine möglichst gute Sichtbarkeit geachtet, indem zum Beispiel eine zu dichte Vegetation vermieden wird.
Mehr Selbständigkeit und mehr Freude
Mit seinen verschiedenen Projekten für die Fussgängermobilität verfolgt der VCS ein einheitliches Ziel: die Förderung der Selbständigkeit. Wenn die Kinder zu Fuss zur Schule gehen können, eignen sie sich schrittweise Bewegungsfreiheit an. Bei älteren Menschen bedeutet es, dass sie eine wichtige Unabhängigkeit bewahren können. In allen Fällen erlaubt es den Fussgängerinnen und Fussgängern, Bestandteil einer Stadt zu sein, die ständig in Bewegung ist.