
Autobahn-Abstimmung: Meinung von Volk und Parlament im Gegensatz
Ein Blick auf vergangene Abstimmungen zeigt: die Politik von Bundesbern und das Stimmvolk haben sich bei Autofragen entfremdet. Erstere ist in der Auto-Euphorie stecken geblieben, während letzterer sich gewandelt hat.
Gerade mal sechs Ständerätinnen und Ständeräte haben in der Schlussabstimmung zum Autobahn-Ausbau Nein gestimmt. Dies entspricht einem Nein-Anteil von 15 Prozent. Im Nationalrat waren immerhin 45 Prozent dagegen. Im November 2024 hat das Stimmvolk den Ausbau bekanntermassen mit knapp 53 Prozent Nein-Stimmen-Anteil abgelehnt. Damit war auch der Nationalrat noch deutlich autofreundlicher als das Stimmvolk. Die Medien konstatierten aufgrund des Abstimmungsresultats eine ungewöhnliche Vertrauenskrise zwischen Bundesparlament und Stimmvolk. War die Nationalstrassenvorlage einfach ein Ausrutscher in einer ansonsten einträchtigen Haltung von Volk und politischen Eliten in Autofragen?

Harmonie in der Auto-Euphorie
Es gab tatsächlich eine Zeit, in der Parlament und Stimmvolk Hand in Hand in eine automobile Zukunft unterwegs waren. Sie liegt allerdings schon lange zurück: Als 1958 die durch eine Initiative von TCS und ACS angestossene Vorlage «für die Verbesserung des Strassennetzes» zur Abstimmung kam, gab es keine namhafte Gegenwehr. Die Argumente für die Vorlage waren damals bereits die gleichen wie beim Autobahn-Ausbau im vergangenen November: wirtschaftlicher Nutzen, Entlastung von Ortschaften und Verminderung der Unfallgefahr.
Das Stimmvolk erteilte mit 85 Prozent Ja-Stimmen dem Bund (in Zusammenarbeit mit den Kantonen) den Auftrag zur Errichtung des Nationalstrassennetzes. Die «NZZ» lobte die «verkehrspolitische Aufgeschlossenheit des Souveräns» und die «Motorisierungsfreudigkeit des Schweizervolkes». Das «Werk gewaltigen Ausmasses» könne nun in Angriff genommen werden.
Doch je mehr Autos unterwegs waren, desto mehr rückten Probleme wie Lärm und Abgase (der «Blick» sprach vom «schleichenden Tod aus dem Auspuffrohr») ins öffentliche Bewusstsein. Ab den 1970er-Jahren formierte sich eine klare Opposition grüner Parteien und Verbände, darunter der neu gegründete VCS. Autopolitik wurde nun auch unter dem Aspekt des Umweltschutzes wahrgenommen und diskutiert.
Als Folge davon wurde die «Albatros»-Initiative gegen die Luftverschmutzung lanciert. Das Parlament blieb seiner bisherigen Haltung treu. Im Nationalrat votierten lediglich zwölf, im Ständerat kein einziges Ratsmitglied für die Initiative. Anders der Souverän: 39 Prozent stimmten 1977 für die von linksgrüner Seite unterstützte Vorlage.
Ständerat autofreundlich wie SVP-Wählende
Zwischen 1977 und heute ging es bei 27 Abstimmungen (darunter zwölf autofreie Sonntage 1978, Alpen-Initiative 1994, NAF 2017) um den Konflikt zwischen Umweltschutz und Förderung des Autoverkehrs. In den meisten Fällen fanden die Umweltanliegen beim Volk deutlich mehr Gehör als im Parlament. Die Position des Nationalrates deckt sich bei diesen Vorlagen mit jener der CVP/Mitte-Wählerschaft – mit einer leicht autofreundlichen Tendenz. Der Ständerat politisiert deutlich weniger umweltfreundlich. Er vertritt in Autofragen ziemlich genau die Haltung der SVP-Wählenden.
Zeit für den Aufbruch
Der Rückblick zeigt, dass die Abstimmung vom 24. November keineswegs lediglich auf die eingangs erwähnte Vertrauenskrise zurückzuführen ist. Das Resultat ist vielmehr bezeichnend für ein in der Vergangenheit stehengebliebenes Parlament und ein seit längerer Zeit deutlich umweltfreundlicher gesinntes Stimmvolk. Höchste Zeit also, dass das Parlament seine Haltung revidiert. Wenn nicht, feiern wir einfach den nächsten Abstimmungssieg.