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7. August 2024
Selim Egloff
VCS

Das schlechteste aller Verkehrsmittel

Der stetige Ausbau der Autoinfrastruktur trotzt jeglicher Vernunft und hat Folgen, die weit über die Klimakrise hinausgehen. Warum die jetzige Politik gleich mehrfach in die Sackgasse führt.

Es staut auf den Schweizer Strassen. Die Staustunden haben in den letzten Jahren, mit Ausnahme eines «Coronaknicks», kontinuierlich zugenommen. Das Schweizer Autobahnnetz ist zu Spitzenstunden punktuell ausgelastet bis zur Kapazitätsgrenze oder auch darüber hinaus. Die neuralgischen Stellen und deren Umfahrungsmöglichkeiten gehören längst zum Allgemeinwissen – nicht zuletzt, weil man sie mehrmals täglich im Radio ungefragt vorgetragen bekommt.

Wirtschaftsverbände und bürgerliche Parteien sprechen unaufhörlich vor einem Verkehrsinfarkt, der drohe, das Land lahmzulegen. Hat man die Versprechungen der Verkehrspolitik der letzten Jahrzehnte im Ohr, kommt die Dauerkrise im Strassenverkehr doch einigermassen überraschend. Das Nationalstrassennetz ist zu grossen Teilen nicht viel älter als 30 Jahre und die früher eröffneten Abschnitte wurden bereits mehrfach ausgebaut. Bei jedem dieser Ausbauprojekte war die Begründung dieselbe: «Der Verkehr wird flüssiger. Endlich freie Fahrt für alle!» Und gleichwohl steht die nächste und inzwischen dritte Generation von Autofahrerinnen und Autofahrern wieder vor den exakt gleichen Problemen.

Dabei wird der existierende Strassenraum in der Schweiz, er macht bereits über einen Viertel der gesamten Siedlungsfläche aus, spektakulär ineffizient genutzt. In den immer grösser werdenden Autos auf Schweizer Strassen sitzen im Pendelverkehr im Durchschnitt nur 1,1 Personen und selbst im Freizeitverkehr sind sie mit 1,9 Personen nicht mal zur Hälfte gefüllt. Den Verkehrsinfarkt mit immer neuen Bypässen abwenden zu wollen, ist der falsche Weg. Der Autoverkehr der Zukunft braucht in erster Linie eine Diät.

Die neuralgischen Stellen und deren Umfahrungsmöglichkeiten gehören längst zum Allgemeinwissen – nicht zuletzt, weil man sie mehrmals täglich im Radio ungefragt vorgetragen bekommt.

Eine überholte Logik, …

Unbeeindruckt davon folgt das Bundesamt für Strassen ASTRA der veralteten Logik, Verkehrsprobleme mit mehr Strassen zu begegnen. Dabei sind dem ASTRA die Risiken und Nebenwirkungen längst bekannt und auch die Verkehrswissenschaft ist sich einig: «Wer Strassen sät, wird Verkehr ernten.» So plant das ASTRA beispielsweise für 2040 bereits den Ausbau des Felsenauviadukts bei Bern. Schliesslich weiss man bereits heute, dass die «Entlastungsmassnahme» am Grauholz – den für dieses Jahrzehnt geplante Achtspur-Ausbau östlich von Bern – auf diesem benachbarten Teilstück innert Kürze zu neuen Engpässen führen wird. Dieses Phänomen nennen Fachleute «induzierte Nachfrage».

… die mehr schadet, …

Der Bau von neuen Strassen führt demnach nur kurzfristig zu einer Entlastung. Die neu geschaffene Kapazität schafft sofort Anreize für mehr Verkehr: Mehr Menschen zählen darauf, die Strecke in ihrem Alltag rasch zurücklegen zu können, und richten ihren Wohn- und Arbeitsort oder ihre Freizeitaktivitäten darauf aus.

Bei einem Ausbau der Autobahnen nimmt also auch die Anzahl der zurückgelegten Kilometer zu, da bei freier Fahrt dieselbe Strecke zwar schneller, aber eben auch häufiger befahren wird. Damit dreht sich die Spirale weiter, bis die Kapazität erneut erschöpft ist. Daher ist auch das Argument irreführend, Ausbau sei ein Rezept gegen die schädlichen Emissionen während eines Staus.

Dem völlig überdimensionierten Netzbeschluss des Bundes aus den 60er-Jahren liegt die Idee der «autogerechten» Stadt zugrunde: Die Ortszentren sollten nach amerikanischem Vorbild mit mehrspurigen Hochleistungsstrassen erschlossen werden. Nur dank dem aktiven Widerstand der lokalen Bevölkerung konnten in früheren Jahren die schlimmsten Projekte verhindert werden. Was trotzdem gebaut wurde, klafft teilweise bis heute wie eine grosse Wunde im Stadtbild. Geblieben sind die Verkehrsprobleme – und sie werden noch schlimmer.

… mit Risiken …

Die Bevölkerung hat längst verstanden, dass dieses System so nicht funktionieren kann. Der Verkehr der einen ist in erster Linie immer auch die Belastung der anderen. In den Städten zeigt sich dies besonders deutlich. Nirgendwo sind die negativen Auswirkungen des Autoverkehrs auf die Luftqualität, die Lärmbelastung und die Sicherheit der ungeschützten Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmer deutlicher zu sehen. Gleichzeitig ist der Anteil an Haushalten, die kein eigenes Auto besitzen, genau dort am grössten.

Zudem ist der dichte Autoverkehr einer der meistgenannten Gründe, warum sich in der Schweiz viele Menschen davor fürchten, mit dem Fahrrad oder zu Fuss unterwegs zu sein, obwohl sie es gerne wären. Für Kinder, ältere Leute und die vielen Menschen, die schlicht nicht Auto fahren können, ist diese Barrierewirkung des heutigen Strassenverkehrs umso heftiger.

… und Nebenwirkungen

Zu den unerwünschten Nebenwirkungen gehören aber auch Effekte, die fernab der Autobahnen auftreten. Denn der Ausbau der Hauptverkehrsachsen zerstört nicht nur direkt wertvolles Kulturland und zerschneidet Biodiversitätsflächen, sondern zeigt seine negativen Folgen weit darüber hinaus.

Je mehr Menschen in Autos unterwegs sind, desto mehr Parkplätze bei Supermärkten, Freizeitanlagen und Arbeitsplätzen müssen erstellt werden. Schliesslich braucht jede Autofahrt immer mindestens am Start und am Ziel einen Parkplatz. Je mehr Lebensraum wir dem Autoverkehr opfern, desto eher ziehen die Menschen in schlecht erschlossene Gebiete, um dem Verkehr zu entfliehen, und lassen ihre Einfamilienhäuser mit Carport auf der grünen Wiesen bauen.

Der Autoverkehr der Zukunft braucht in erster Linie eine Diät.

Ungesunde Ablagerungen

Besonders fatal sind die Folgen des ständigen Strassenausbaus für das Ökosystem und die Gesundheit. Werden Waldflächen gerodet, finden zwar zum Ausgleich Aufforstungen statt. Doch auch diese gehen zulasten der Landwirtschaftsfläche. Das führt zu einem immer weiteren Rückgang des sowieso schon knappen Kulturlands, schwächt die Schweizer Landwirtschaft und letztlich damit auch die Versorgungssicherheit. Ganz zu schweigen von der immensen Belastung dieser Böden durch die Schwermetalle aus den Auspuffen.

Auch durch Elektroautos lassen sich längst nicht alle Umweltprobleme lösen. Denn selbst wenn in Zukunft alle Autos elektrisch fahren, bleibt der Reifenabrieb die grösste Quelle für Mikroplastik. Dieser sammelt sich an den entlegensten Orten der Welt an und verunreinigt die Gewässer und unsere Körper. Bestens bekannt ist zudem die schädliche Wirkung des Verkehrslärms. Der lässt sich ab Tempo 30 nicht mehr wegelektrisieren, da das Rollgeräusch der Reifen lauter ist als der Motor.

Auch finanziell sind neue Strassen kaum zu verantworten. Mit dem Geld, das für die sogenannte Teilspange in St. Gallen veranschlagt ist, könnte man das in den 50er-Jahren dem Autowahn geopferte Tramnetz reaktiveren.

Nötig: effizientes Verkehrssystem

Der Autoverkehr ist das mit Abstand flächenineffizienteste Verkehrsmittel und bietet in unserem dicht besiedelten Land keine zukunftsfähige Lösung. Gerade diejenigen, die sich aufgrund des Bevölkerungswachstums um die Leistungsfähigkeit der Infrastruktur sorgen, sollten sich für ein flächeneffizientes und ressourcenschonendes Verkehrssystem einsetzen, das die ungeschützten Verkehrsteilnehmenden an erste Stelle stellt, anstatt diese mit noch mehr Blech von den Strassen zu vertreiben. Wer sich also von mehr Autobahnen einen besseren Zugang der Menschen zur Mobilität verspricht, erreicht damit genau das Gegenteil.

Selim Egloff ist Projektleiter Verkehrspolitik beim VCS Schweiz. Er freute sich in seiner Jugend darüber, dass der Autobahnanschluss unter seinem Kinderzimmerfenster nie gebaut wurde.