Buntes Transsilvanien
Die Züge in Rumänien sind langsam, aber bequem und fahren auf einem der dichtesten Eisenbahnnetze Europas. Von Bukarest aus reisen wir durch die vielfältigen Landschaften von Transsilvanien und entdecken gemütliche Städte, schauerliche Schlösser und goldene Wälder.
Als ich verträumt die Karte studierte, stellte ich fest, dass Rumänien einfach mit dem Zug zu erreichen ist – einfach, aber nicht schnell. Die Strecke verläuft über Budapest und dann mit dem Nachtzug nach Bukarest. Die Reise dauert über dreissig Stunden und ist eine angenehme und bereichernde Erfahrung.
Der Hirte, der Vampir und der Diktator
Riesig und zugänglich, grau und herzlich – Bukarest fasziniert durch einen äusserst vielseitigen Charakter. Eine Fussgängerzone umfasst die gesamte Altstadt – charmant und gemütlich zugleich. Start ist in Lipscani, dem ältesten Quartier von Bukarest. Der Legende nach wurde die Stadt 1300 von einem Hirten namens Bucur gegründet, der hier eine Kirche baute. Um die Mitte des 15. Jahrhunderts besass Vlad Ţepeş, dem man den Spitznamen «Vlad der Pfähler» gab und der Bram Stoker zum Werk Dracula inspirierte, dort einen Palast und einen Hof. Schnell entwickelte sich die Stadt um den Palast herum und heute ist Lipscani ein Geschäftsviertel. Die Namen einiger Strassen weisen noch heute auf Handwerksberufe hin: Goldschmied, Sattler, Schuhmacher und Gerber.
Wir gehen zur Calea Victoriei, dem Hauptknotenpunkt von Bukarest, um zum Parlamentspalast zu gelangen. Dieses unumgängliche Wahrzeichen symbolisiert die Masslosigkeit der kommunistischen Jahre. Der Diktator Nicolae Ceaușescu liess ganze Quartiere ausradieren, um diesen riesigen Palast zu bauen – nach dem Pentagon das grösste Verwaltungsgebäude der Welt.
Auf dem Hügel der Metropole steht die Patriarchalkathedrale, eine orthodoxe Basilika, die auch Sitz des Patriarchats von Rumänien ist. Sie befindet sich direkt neben dem ehemaligen Palast von Rumänien, dem heutigen Sitz des Senats. Die vielen religiösen, vor allem orthodoxen Gebäude stehen neben historischen Monumenten, baufälligen Gebäuden und prunkvollen Häusern. Zwischen Glanz und Verfall, Luxus und Armut hat sich die Stadt eine einzigartige Identität geschaffe.
Schwarze Kirche und bunte Häuser
Bukarest vermittelt einen vielversprechenden ersten Eindruck von Rumänien und bei einem längeren Aufenthalt liesse sich die ganze Vielfalt auskosten. Aber nun ist es Zeit, nach Transsilvanien aufzubrechen. Der Zug schlängelt sich durch erhabene Landschaften, eine Mischung aus glutroten Wäldern, Dörfern und immer schroffe en Bergen.
Braşov ist eine der touristischsten Städte Rumäniens. Sie wurde im Mittelalter von den Sachsen kolonisiert und entwickelte sich schnell um das Zentrum herum, wo viele schöne Häuser mit pastellfarbenen Fassaden entstanden. Unmittelbar hinter den Dächern zeichnet sich der bedrohliche Umriss der Schwarzen Kirche ab, deren imposante Grösse im Kontrast zu den anderen Monumenten steht. Sie ist die grösste gotische Kirche Osteuropas.
Aus dem buckeligen Relief von Braşov hebt sich der Hügel Tâmpa ab, ganz oben thront der Name der Stadt in Hollywood-Zeichen-Manier. Der Aufstieg zu Fuss dauert knapp eine Stunde oder man nimmt die Seilbahn, wenn dort nicht gerade «defecțiune tehnică» steht. Vom Stadtzentrum führen zwei oder drei Gässchen und eine Treppe zum Ausgangspunkt für den Spaziergang. Der Weg taucht direkt in den herbstlichen Wald ein. Eng und steinig schlängelt er sich unter den Seilbahnkabeln durch. Schon bald bricht das Panorama durch die Äste der Bäume und verheisst viel Schönes. Oben angekommen, geniessen wir bei den grossen, weissen Buchstaben die atemberaubende Aussicht. Zu unseren Füssen zeichnen sich die Umrisse der Stadt Braşov ab: der Hauptplatz, das Alte Rathaus – mittlerweile ein Geschichtsmuseum – und die Schwarze Kirche, die selbst von hier oben unverhältnismässig aussieht.
Bei Dracula
Braşov ist ein idealer Ausgangspunkt für den Besuch zweier berühmter Monumente Rumäniens: die Schlösser Bran und Peleş. Vom Busbahnhof von Braşov fährt uns ein alter bunter Reisebus in knapp einer Stunde zum ersten Schloss.
Das Schloss Bran liegt auf einem Felsen und bietet eine aussergewöhnliche Kulisse. Die vielen schmalen Räume, Treppen und Geheimgänge im Innern schaffen eine mysteriöse und labyrinthartige Atmosphäre, die Bram Stoker wohl als Inspiration für die Beschreibung von Dracula’s Zuhause diente. Doch Vlad Ţepeş hat nie dort gewohnt und wir stellen erfreut fest, dass das Schloss nichts von einem Vampir-Disneyland hat. Im Gegenteil: Wir entdecken die wahre Geschichte der Festung, ihrer Errichtung im 14. Jahrhundert im Auftrag des Königs von Ungarn, der Besetzung durch die Sachsen und die Habsburger und schliesslich durch die Königsfamilie von Rumänien. Die Geschichte der Königin Marie, die dort in den 1920er-Jahren lebte, ist faszinierend, leidenschaftlich und wagemutig. Sie spielte während des Ersten Weltkriegs eine wichtige Rolle für Rumänien.
Im Schloss Peles
Mit dem Zug geht es weiter in die Stadt Sinaia und zum Schloss Peleş. Dann müssen wir einige Treppen erklimmen, den Park rund um das sehr schöne Casino durchqueren, bis zum orthodoxen Kloster hinaufsteigen und schliesslich in den Wald stechen. Dutzende von Holzhütten buhlen mit einem lustigen Produktangebot um die Gunst der Touristen: rumänisches Handwerk, Pikachu-Plüschtiere, Stickereien, Schals, Plastik-Gadgets, Nougat und kleine Körbe mit roten Beeren.
Eine Brücke führt uns über einen Fluss und zum Schloss Peleş, das mitten in den Wäldern von Sinaia liegt. Das Innere des Schlosses ist reichlich mit dunklen Holzvertäfelungen, imposanten Kronleuchtern, Säulen, Statuen, Marmor und Gemälden verziert. Von der berauschenden Schwüle und der Menschenmenge, die von Raum zu Raum schlendert, wird einem ganz schwindelig. Nach dem kargen und emotionslosen Schloss Bran zeigt sich Peleş facettenreich und herzlich – übrigens das erste Schloss in Europa, das in den 1870er-Jahren Elektrizität hatte. Im ersten Stockwerk, wo sich deutlich weniger Menschen aufhalten, können wir Luft holen und mehr in die Intimität des Ortes und seiner Bewohner eintauchen. Das Schloss war vor allem die Sommerresidenz der Königsfamilie und später die Residenz des Diktators Ceaușescus.
Eine pfiffige Zitadelle
Von Braşov fährt der Zug nach Westen durch eine idyllische Landschaft nach Sighişoara, eine kleine Stadt, die zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärt wurde. Die Altstadt – ein Mix aus lateinischer und byzantinischorthodoxer Kultur – ist mit ihren niedrigen Häusern und verwinkelten Gässchen besonders fotogen. Die Pflastersteine unter unseren Füssen sind vielmehr grosse, glatte Kieselsteine, die den Weg uneben machen und uns zwingen, den Boden im Auge zu behalten, um nicht zu stolpern.
Die Aussicht vom Stundturm ist wirklich lohnenswert. Auf dem Weg nach oben gehen wir durch das historische Museum, das sich über die Stockwerke des Turms erstreckt. Wir sparen uns den Besuch der – wenig interessanten – Kirche auf dem Hügel, damit wir die überdachte Holztreppe bewundern können, die zu ihr führt. Dank des im 17. Jahrhundert errichteten Bauwerks konnten die Schüler auch bei starkem Schneefall zur Schule auf dem Gipfel der Zitadelle gelangen. Der Besuch endet auf einer der zahlreichen Terrassen, die zu einer wohlverdienten Pause einladen. Die Gelegenheit, Papanaşi zu kosten, ein rumänisches Dessert aus Donuts mit Rahm und Heidelbeerkonfitüre.
Wo die Häuser Augen haben
Die Rundreise geht weiter in die nächste Stadt, ungefähr hundert Kilometer von Sighişoara entfernt. Die deutschen Kolonisten, die sie im 12. Jahrhundert gründeten, nannten sie Hermannstadt, doch heute ist sie eher unter dem Namen Sibiu bekannt. Die kleine Stadt besticht durch ihre prächtigen Fassaden in gewagten Farbtönen. Der grosse und der kleine Platz – umgeben von bemerkenswerten Gebäuden – bilden die Altstadt. Wir bezahlen zwei Lei (ungefähr 40 Rappen), um vom Ratsturm den besten Blick auf die Stadt zu geniessen.
Zurück auf dem Erdboden schlendern wir über den kleinen Platz und bewundern die imposante evangelische Kirche, deren Bau mehr als zwei Jahrhunderte dauerte. Unser Blick fällt auf das bunte Dach und wir bestaunen die berühmten «Augen von Sibiu». Die in die Dächer integrierten Fenster, über die früher die Dachböden belüftet wurden, verleihen der Szenerie heute einen schelmischen Eindruck.
Eine Prise Salz
Nach den beiden bunten Kleinstädten machen wir uns auf den Weg nach Cluj-Napoca. Der Zug rast zwischen Felswänden hindurch, Tannenzweige streifen das Fenster des Waggons. Kurz vor unserem letzten Ziel lädt uns das Salzbergwerk von Turda auf eine spektakuläre Reise ein. Die Vorkommen in Transsilvanien haben sich vor 13,5 Millionen Jahren gebildet und die Salzschicht erstreckt sich im Untergrund des gesamten Plateaus. In Turda ist die Schicht mit einer Dicke von über 1200 Metern besonders beachtlich. Der Abbau begann bereits zur Zeit der Römer, aber insbesondere während der Herrschaft Österreich-Ungarns wurde er ausgeweitet. Die Minen wurden nach den fürstlichen Persönlichkeiten umbenannt: Mina Tereza nach der Erzherzogin Marie-Thrèse, Mina Iosif nach Joseph II., Kaiser des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation, Mina Rudolf zu Ehren des Mitglieds des Kaiser- und Königshauses von Österreich-Ungarn und Mina Ghizela für die berühmte Sissi.
Ein langer Gang, gesäumt von durch das Salz glänzenden Wänden, führt zu den Minen, in denen eine mystische Atmosphäre herrscht. Diese riesigen Hohlräume wirken wie unterirdische Kathedralen und werden von Neonröhren mit kaltem, bläulichem Licht beleuchtet. Der Schall dringt in das Innere des Berges und prallt an den mit geometrischen Mustern gestreiften Wänden ab. Der Salzabbau wurde 1932 eingestellt und die Mine diente der örtlichen Bevölkerung während des Zweiten Weltkriegs als Zufluchtsort. In den 1990er-Jahren entwickelte sich der Ort zu einer Touristenattraktion, die im Zuge der Renovierung im Jahr 2009 noch weiter ausgebaut wurde. Amphitheater, Minigolf und Riesenrad wurden errichtet – überflüssige Spielereien, die jedoch nichts an der Einzigartigkeit dieses Ortes ändern.
Ende des Aufenthaltes in Cluj-Napoca
Cluj-Napoca ist die inoffizielle Hauptstadt von Transsilvanien und auf Platz zwei der bevölkerungsreichsten Städte des Landes. Wir starten auf dem Museumsplatz – dem ältesten der Stadt –, wo wir vor der barocken Fassade der Franziskanerkirche Halt machen. Nur wenige Schritte von hier befindet sich das Haus, in dem Matei Corvin, einer der bedeutendsten ungarischen Könige, geboren wurde. Wir «treffen» ihn auf dem zweiten Hauptplatz von Cluj, Piata Unirii, wo seine riesige Statue vor der nicht weniger gewaltigen Michaelskirche thront.
Es mag überraschen, dass dieses katholische Gebäude auf einem der Hauptplätze der Stadt steht, wo Rumänien doch überwiegend orthodox ist. Es symbolisiert die reiche Geschichte von Transsilvanien und vor allem von Cluj-Napoca: Die Stadt wurde von Kelten erbaut, von den Römern und später von mehreren germanischen Völkern erobert, von deutschen Kolonisten zurückerobert, bevor sie osmanisch wurde, dann zum Königreich Österreich-Ungarn gehörte und schliesslich 1918 rumänisch wurde. Heute ist der ungarische Einfluss überall in Cluj-Napoca zu spüren, auch auf dem Teller. Suppen, Lángos und Kürtőskalács sind oft auf der Speisekarte von Restaurants oder Strassenküchen zu finden.
Cluj-Napoca beeindruckt durch den monumentalen Charakter. Im Zentrum herrscht reges Treiben, wohingegen man in den Parks Ruhe findet. Wir entspannen uns bei einem Spaziergang durch den botanischen Garten, auf den Anhöhen der Stadt oder im Central Park mit dem kleinen See. Er befindet sich auf dem Weg zum Zitadellenhügel, auf dem man ein herrliches Panorama geniessen kann – der perfekte Ort für einen letzten Sonnenuntergang über Rumänien.