Den Landfrass stoppen – auch dem Klima zuliebe
Der Autobahn-Ausbau würde Kulturland und Wald zerstören. Nicht viel, beschwichtigen Befürworter. Aber mehr, als sie suggerieren. Und längerfristig droht noch mehr Landverlust und Klimabelastung. Das stoppen wir mit einem Nein.
Von Bruno Vanoni
«Für die Landwirte war es kein Freudentag.» Diese Erinnerung eines früheren Bolliger Gemeindepräsidenten publizierte vor ein paar Jahren die Lokalzeitung «Bantiger Post»: Der 10. Mai 1962, der Eröffnungstag des ersten A1-Autobahn-Teilstücks der Schweiz, sei für die Bauern am Grauholz «kein Freudentag» gewesen, weil sie sich «vergeblich gegen den Landverschleiss, den Lärm und den Gestank der neuen Nationalstrasse gewehrt» hätten.
Land opfern für acht Fahrspuren?
Sechzig Jahre später wehren sich Landwirte entlang des gleichen, zwischenzeitlich auf sechs Spuren ausgebauten, Autobahn-Teilstücks wieder: mit Einsprachen gegen den zusätzlichen Landverschleiss, der wegen der erneuten Verbreiterung der Grauholz-Autobahn droht. Die knapp sechs Kilometer lange Strecke zwischen dem Knoten Bern-Wankdorf und der Verzweigung Schönbühl soll nun auf acht Fahrspuren ausgebaut werden: als erste Autobahn der Schweiz! 13,4 Hektaren Land würden dafür zubetoniert, auf 3,5 Hektaren Wald alle Bäume gefällt; weitere 13 Hektaren wertvolles Ackerland würden während der langen Bauzeit vorübergehend beansprucht, will heissen: geschädigt. Das 253 Millionen Franken teure Projekt ist Kernstück des «Ausbauschritts 2023», der am 24. November zur Volksabstimmung gelangt und 5,3 Milliarden Franken kosten würde.
Doch obwohl etliche Landwirte und auch der einflussreiche Berner Bauern Verband (BEBV) vor zwei Jahren mit Einsprachen rechtlich gegen das Projekt vorgegangen sind, halten sich – bis auf eine löbliche Ausnahme – vor der Abstimmung alle Betroffenen eher still. Zumal sie mit dem zuständigen Bundesamt ASTRA gleichwertige Flächen als Realersatz für den drohenden Landverlust oder zumindest gute Entschädigungen aushandeln wollen. Ihre bürgerlichen Vertreterinnen und Vertreter im Parlament und an der Verbandsspitze hingegen werben vielfach offen für den landfressenden Autobahn-Ausbau.
Treiber für Zersiedlung und Mehrverkehr
Eben noch haben sie, vor der letzten Volksabstimmung, lautstark gewarnt, es gehe wertvolles Kulturland für die Nahrungsmittelproduktion verloren – wenn die Biodiversitätsinitiative angenommen werde. Klar widersprochen hat schon damals der grüne Berner Nationalrat, Biobauer und Kleinbauern-Präsident Kilian Baumann. Und mit Blick auf die Autobahn-Abstimmung hat er auf einen grundlegenden Unterschied aufmerksam gemacht: «Im Gegensatz zu geschützten oder biodiversitätsfreundlich bewirtschafteten Flächen, wie sie die Biodiversitätsinitiative forderte, zerstört der Ausbau von Autobahnen unwiederbringlich wertvolles Kulturland, und er ist ein Treiber für die Zersiedelung und zusätzlichen Verkehr. Eine weitere Asphaltierung der Schweiz können wir uns nicht mehr leisten.»
«Gemüse wächst nicht auf der Strasse», sagt die grüne Berner Nationalrätin Christine Badertscher. Die Agronomin, auf einem Bauernhof aufgewachsen, sitzt im BEBV-Vorstand und wirbt als einzige prominente Stimme aus dessen Reihen für ein Nein am 24. November. «Wir sind dafür verantwortlich, Kulturland – auch für zukünftige Generationen – zu erhalten.» Neben dem eingangs geschilderten Acht-Spur-Ausbau der Grauholz-Autobahn drohen auch noch andere Elemente der masslosen Abstimmungsvorlage fruchtbare Flächen zu zerstören:
Für den nördlich anschliessenden Sechs-Spur-Ausbau der Strecke Schönbühl-Kirchberg sind keine aktuellen Zahlen bekannt, weil das ASTRA die öffentliche Planauflage auf die Zeit nach der Volksabstimmung hinausgeschoben hat. Früher war mal die Rede von 5,5 Hektaren dauerhaft und 14,5 Hektaren vorübergehend beanspruchtem Kulturland und Wald.
Für den Sechs-Spur-Ausbau der Strecke Le Vengeron–Nyon waren noch gar keine Zahlen publik, als das eidgenössische Parlament dieses Teilstück überaus abrupt in die Abstimmungsvorlage aufnahm. Neuerdings heisst es, dafür müssten 3,2 Hektaren Kulturland und 2 Hektaren Wald geopfert werden.
Auch wenn die Flächenverluste relativ klein wirken, geben sich die Ausbau-Promotorinnen und -Promotoren alle Mühe, sie noch kleiner zu reden: «Die geplanten Ausbauten sind äusserst flächeneffizient», sagt etwa FDP- und Astag-Präsident Thierry Burkart in der TCS-Zeitschrift «Touring»: Der Flächenbedarf sei «überschaubar», insgesamt «lediglich acht Hektaren Fruchtfolgeflächen». Und diese würden, verkündet faktenwidrig Bundesrat Albert Rösti, durch Bodenaufwertungen «kompensiert».
Aber eben: Neben den Fruchtfolgeflächen, die zerstört werden, wird ein Mehrfaches an Kulturland und Wald dauerhaft oder vorübergehend beansprucht. Und das soll erst der Anfang sein: Denn Bundesrat und Parlament haben bereits Vorentscheide gefällt, dass nach den insgesamt 33 km langen Ausbaustrecken der Abstimmungsvorlage später weitere, mehrfach längere Abschnitte der 410 km langen A1 verbreitert werden sollen: durchgehend zwischen Genf und Lausanne sowie Zürich und Bern auf mindestens sechs Spuren.
Kulturlandschutz ist Klimaschutz
Die Kehrseite dieses längerfristig drohenden Flächenverlustes ist die entsprechende Zunahme versiegelter Beton- und Asphaltflächen. Und damit werden grüne Flächen zerstört, die CO2 im Boden speichern und somit wichtig sind für das Netto-Null-Ziel im Klimaschutz. Kein Wunder, wird die Notwendigkeit eines Netto-Null-Ziels auch für den Bodenverbrauch zunehmend anerkannt. Kulturlandschutz ist eben auch Klimaschutz!
Fürs Klima ist der Autobahn-Ausbau ohnehin schon wegen der zusätzlichen Belastungen katastrophal: Allein auf den beiden Berner Ausbau-Strecken würden wegen des Mehrverkehrs künftig jährlich 5500 Tonnen CO2 mehr ausgestossen. Die gigantischen Mengen an Beton und Asphalt, die dafür gebraucht und herumtransportiert werden, verursachten ein Mehrfaches an Klimaschädigung. Und schon bisher verschuldet der Bau und Unterhalt der Schweizer Autobahnen jährlich 150 000 Tonnen CO2.
Weitere Texte zum masslosen Autobahn-Ausbau finden Sie in unserer aktuellen Magazin-Ausgabe: Lesen Sie unsere Kernargumente und erfahren Sie, weshalb die Ausbaukosten am Schluss höher ausfallen als erwartet.